Juli 2024
 Lesen und Hören

Prokrastination – Die große Ablenkung

Der nächste Blog will geschrieben werden. Was steht an? Ach ja, die Fortsetzung zu „Wir sind wieder wer – oder?“ (Teil 1 siehe Blog Februar 2024).

Ich hatte ja in den letzten Monaten mal wieder über die „Eisenbahn“ und über die Forschung zum Klopapierverbrauch geschrieben. Jetzt will ich aber, gut erholt von Ferien in Malaga, aus vielerlei Gründen wieder zur Politik zurück. Und dazu gibt es ja auch genügend Stoff:  Europawahlen, Migrationspolitik, Bürgergeld, (Kinder-)Armut, Klimagesetz, Populismus, anstehende Landtagswahlen, Wahlen in USA etc. etc.

Doch kaum ist der Bleistift angespitzt, das Hirn auf das Thema Politik programmiert, klingelt es und ein ordentlicher Stapel Bücher, CDs und Schallplatten landet auf meinem Tisch. Die Neugier siegt. Das Vorhaben schiebe ich für einige Stunden nach hinten.

Erst einmal Pakete aufschnüren und die neuen Schätze bestaunen.

Der 600 Seiten Wälzer von Ned Sublette über „Cuba and his Music. From the First Drums to the Mambo“ lacht mich an und will aufgeschlagen werden. Rhiannon Giddens berichtet uns bei ihrem Konzert im Februar, wie viele Anregungen sie für ihre eigene Befassung mit der amerikanischen Geschichte von Ned Sublette erhalten habe. Mein Interesse ist geweckt. Buch bestellt.

Ned Sublette (1951, New Mexico) ist Musiker, Komponist, Produzent, Forscher, Autor. Er arbeitet mit einflussreichen Vertretern der Avantgarde Musik (Minimal, Noise, Fluxus etc.) wie John Cage, Peter Gordon und La Monte Young.

In seiner eigenen Musik verbindet Ned Sublette Country Musik mit afro-karibischen Stilen. Cowboy Rumba schafft es 1999 auf Platz 1 in den World Music Charts Europe.

1981, der große Aufreger: Der Marlboro Cowboy reitet seit 1954 durchs Land, auch durch Texas. Da sorgt der Text eines musikalisch typischen Country Songs für Kopfschütteln, für Schmährufe, für Boykottforderung: Ned Sublette singt „Cowboys Are Frequently, Secretly Fond of Each Other„. Ein Tabubruch, der das weißgewaschene Image der Cowboys mit Flecken beschmutzt.

Well, there’s many a strange impulse out on the plains of West Texas
There’s many a young boy who feels things he can’t comprehend
And a small town don’t like it when somebody falls between sexes
No, a small town don’t like it when a cowboy has feelings for men
Cowboys are frequently secretly fond of each other

What did you think all them saddles and boots was about?
There’s many a cowboy who don’t understand the way that he feels for his brother
And inside every cowboy, there’s a lady that’d love to slip out (yee-hee)

And there’s always somebody who says what the others just whisper
And mostly that someone’s the first one to get shot down dead
So when you talk to a cowboy, don’t treat him like he was a sister
You can’t fuck with a lady that’s sleepin‘ in each cowboy’s head

Cowboys are frequently secretly fond of each other
What did you think all them saddles and boots was about?
There’s many a cowboy who don’t understand the way that he feels for his brother
And inside every lady, there’s a cowboy who’d love to come out
And inside every cowboy, there’s a lady who’d love to slip out (yee-haw)

Erst nach dem großen Erfolg von Brokeback Mountain 2005 findet dieser Titel Platz auf einem Major Label. Country-Star Willie Nelson covert das Lied. Wie singt Bob Dylan: „The Times They Are a-Changing“.

Ich beginne zu lesen. Zunächst rund 200 Seiten über Sklaverei und das grausame Geschäft innerhalb Afrikas und jenseits des Ozeans.

Sublette zeigt uns ein Kuba, das 1886 nicht nur als eines der letzten Länder der Welt die Sklaverei per Gesetz verbietet. Er zeigt uns ein kulturell blühendes Kuba des frühen 19. Jahrhunderts, das wir uns heute kaum noch vorstellen können:

In sum, in the decades preceding the U.S. Civil War, during a time of great prosperity in Cuba under the relative political stability of the colonial structure, Cuba had

at the height of the popularity of Italian opera, the hemisphere’s best company, as well as opera performances in many cities on the island;
the largest theater in the hemisphere;
in the cities, a substantial population of free people of color who dominated the profession of music;

a deeply rooted tradition of popular poetry that emphasized the ability to improvise;
a musical genre, the habanera, … that had become popular across a wide part of the hemisphere

Ned Sublette. Cuba and his Music. From the First Drums to the Mambo. Chicago 2004, S. 155.

Ausführlich belegt Sublette die vielfältigen Einflüsse auf die Musik Kubas, die keinesfalls primär aus Afrika (vor allem aus Kongo) stammen. Spanische Immigranten bringen z. B. die Zarabande nach Kuba. Kolonialmächte installieren „Marching Bands“ für ihr Militär und bereichern die Musik durch Blasinstrumente. Während der Revolution in Haiti (1791 – 1804 Unabhängigkeit) fliehen Franzosen nach Kuba und bringen ihre musikalischen Traditionen mit. Ballroom Tänze, etwa die populäre Contredanse, erobert die Insel. Stars der klassischen Musik wie Arditti und Bottesini leben, komponieren und führen Opern in Havanna auf. Rund 125.000 angeworbene Chinesen (nahezu ausschließlich Männer) bringen ihre Sitten, Gebräuche und Musik mit.    

Von ganz besonderer Bedeutung für das Verständnis kubanischer Musik ist laut Sublette das Verständnis der Yoruba Religion, die auf Kuba als Santería mit vielfältigen Varianten bis heute praktiziert wird. Auch der Pianist Roberto Fonseca, ein Star der kubanischen Musik, ist ein Anhänger der Santería. Am 24. Juli eröffnet er das Kubanische Filmfestival im Babylon Berlin. Auf der Bühne ein weiß gedeckter Tisch; darauf weiße Rosen und vier weiße sowie drei rote Kerzen. Das in der Santería-Zeremonie übliche Blutopfer entfällt – zumindest auf der Bühne. Dann Tamburin und Sprechgesang – ein Dankeslied an die „Götter“.

Sublettes Fazit: „Whether you are atheist or a believer, you simply cannot understand Cuban music – or Cuban musicians, who have a very high proportion of practitioners in their ranks – without knowing these figures.“ (S. 218)

Immer wieder lege ich das Buch zur Seite und lausche den Klängen von Odetta, Woody Guthrie, Rhiannon Giddens, Pete Seeger, Billie Holiday…

Immer noch kein Platz im Kopf für mein ursprüngliches Thema.

Ich lese weiter über die Millionen Menschen, die innerhalb Afrikas versklavt wurden. Aber wie ist das heute, im 21. Jahrhundert. Hat sich das Thema endlich erledigt?

Die neuesten globalen Schätzungen der modernen Sklaverei, die von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und der internationalen Menschenrechtsgruppe Walk Free veröffentlicht wurden, zeigten, dass im vergangenen Jahr etwa 50 Millionen Menschen in moderner Sklaverei lebten: 28 Millionen in Zwangsarbeit und 22 Millionen in Zwangsehen.

„Es ist schockierend, dass sich die Situation der modernen Sklaverei nicht verbessert“, sagte ILO-Generaldirektor Guy Ryder. „Nichts kann das Fortbestehen dieser fundamentalen Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen“.

Im Vergleich zu globalen Schätzungen aus dem Jahr 2016 befanden sich 2021 10 Millionen Menschen mehr in moderner Sklaverei, wobei Frauen und Kinder unverhältnismäßig stark gefährdet waren.

Moderne Sklaverei kommt in fast allen Ländern der Welt vor und geht über ethnische, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg.

Mehr als die Hälfte aller Zwangsarbeit und ein Viertel aller Zwangsverheiratungen finden sich in Ländern mit oberem mittlerem oder hohem Einkommen.

50 Millionen Menschen in moderner Sklaverei: Keine Rechtfertigung für „grundlegende“ Menschenrechtsverletzungen – Vereinte Nationen – Regionales Informationszentrum für Westeuropa (unric.org) 
Weitere Details finden sich im Global-Slavery-Index-2023.pdf (walkfree.org)

Mein Blog-Vorhaben rückt in weite Ferne.

Ich greife in das Fach mit afrikanischen Autoren und lande bei Ngũgĩ wa Thiong’o. Der 1938 in Limuru, Kenia, geborene Schriftsteller und Kulturwissenschaftler erlebt die Härte des britischen Kolonialismus und der postkolonialen Herrschaft der Regierungen von Daniel arap Moi und Jomo Kenyatta ganz unmittelbar. Gefängnis, Folter, Schreib- und Veröffentlichungsverbot begleiten ihn viele Jahre. Seine Romane zeichnen ein bedrückendes Bild nicht nur der Kolonialzeit, sondern auch der vielen nachkolonialen Jahre.

Der Nacht des Schwertes und der Gewehrkugel aber folgte der Morgen der Kreide und der Schultafel. Die physische Gewalt des Schlachtfeldes wurde von der psychischen Gewalt des Klassenzimmers abgelöst. (…) Die Gewehrkugel war Mittel der physischen Unterwerfung. Die Sprache war Werkzeug der geistigen Unterwerfung.

Dekolonisierung des Denkens. Essays über afrikanische Sprachen in der Literatur. Münster 2018.

Passend zum 80. Geburtstag erscheint 2018 die Essaysammlung endlich auch auf Deutsch, erweitert um Anmerkungen junger und älterer afrikanischer Autoren zur Wirkung der Essays auf sie.

Im vergeblichen Versuch, von Frankfurt nach München zu kommen, es ist der 3. Juni, der Tag nach dem großen Unwetter, verschlinge ich im Zug Ngũgĩs Autobiographie „Träume in Zeiten des Krieges. Eine Kindheit.“

Kein Tag, wie jeder andere. Schulschluss. Ngũgĩ macht sich auf den langen Heimweg…
Endlich kam ich nach Hause…
Das Essen war tatsächlich fertig und wurde mir schweigend in einer Kalebasse gereicht. Sogar mein kleiner Bruder hielt den Mund…

Mutter brach das Schweigen. mein großer Bruder Wallace Mwangi … war am Nachmittag nur knapp dem Tod entgangen. Wir beten dafür, dass er in den Bergen sicher ist. Das ist dieser Krieg, sagte sie.

Ngũgĩ wa Thiong’o. Träume in Zeiten des Krieges. Eine Kindheit. München 2010, S. 12.

Mein Blog wabert nebelgleich durch mein Hirn und verblasst ganz langsam.

Maximilian Hendlers „Prehistory of Jazz“ ist ein wahrlich revolutionäres Buch des gelernten Tischlers, Jazzfans seit früher Jugend, Slawistik Professors bis 2002 und unermüdlichen Forschers. Aber, was ist an diesem Buch, das sich im Wesentlichen mit der Zeit von 1890 bis 1930 befasst, so aufrührerisch? Drei Zitate von Hendler:

The notion – proposed by Americans, and compliantly adopted by Europeans – that Jazz is a continuation of African music must be continually questioned and revised on the basis of facts. (S. 1)
If readers think that a black person is a black person and thus is incapable of learning something other than what their ancestors brought from Africa, the author advises them not to read the present work, for they will find no confirmation of their views here. (S. 5)
If anything ‚African‘ has survived among African Americans, it is the remains of an African temperament, but nothing that can be notated in music. (S. 191)

Maximilian Hendler. Prehistory of Jazz. Beiträge zur Jazzforschung. Studies in Jazz Research 16. Wien 2023.

Und auch Hendler befasst sich zunächst mit Sklavenhandel und der berüchtigten Slave Breeding Industry in Virginia, der Sublette in seinem sehr empfehlenswerten Buch „The World that Made New Orleans. From Spanish Silver to Congo Square“ (Chicago 2008) ein eigenes Kapitel widmet. Zwei Umstände treffen im ausgehenden 18. Jahrhundert aufeinander: englische Abolitionisten behindern zunehmend den Import von Sklaven aus Afrika zu einer Zeit, als der Anbau von Zuckerrohr an der Südküste der Vereinigten Staaten, besonders in Louisiana, floriert. In dieser Situation haben die Landbesitzer vieler Südstaaten „the inhuman idea to not only import slaves, but do breed them themselves.“ (Hendler, S. 21). Die Mutter ist Sklavin. Dann sind es auch ihre Kinder. Und die Kinder der Kinder, „whose ‚blackness‘. would no longer be obvious to Europeans.“ (Hendler, S. 23). Die hellhäutigen Mädchen werden auf den Sklavenmärkten als „fancy girls“ oft für mehrere tausend Dollar verkauft, das profitabelste Segment dieses schmutzigen Geschäfts.

Hendler verweist ebenfalls auf die große Bedeutung religiöser Überzeugungen und Handlungen für die Musik: Just like converted Europeans attributed vital characteristics of their dethroned gods to the new saints, so did Africans in America. This is the origin of Santos – to use the Cuban word for Loas, Orishas, and so forth – and for the cults that merge Christian and black African beliefs in ways that are impenetrable to outsiders. (S. 28)

In Summe kommt Hendler zu dem Ergebnis, dass die „Prehistory of Jazz“, von Minstrel über Spirituals und Gospel bis zu Ragtime vielfältigen Einflüssen zu verdanken ist. The Irish/Scottish/English melodic patterns were fused with Cuban rhythms, creating the genres that became known as cakewalk and ragtime in the late 19th century. (S. 191). Und lediglich im Blues, der den Übergang zum Jazz bildet, findet sich Afrikanisches in der Musik der Afroamerikaner.

Gerade in den 1920er Jahren prägen Frauen den Blues: Flo Bert, Lucille Hegamin, Mamie Smith und Bessie Smith gehören zu den populären Künstlerinnen. Bekannter sind allerdings – vor allem außerhalb der Blues Szene – männliche Epigonen wie Big Bill Broonzy, Blind Lemon Jefferson und Clarence Williams.
Einer der Bekanntesten, John Lee Hooker (1917 – 2001), erzählt uns in seinen Liedern vom Leben auf der Straße und in großer Armut, die er selbst etliche Jahre erlebt (z. B. That’s My Story). Auch seine ersten Plattenaufnahmen ab 1937 verbessern seine Lage kaum. Selbst sein Hit „Boogie Chillen“, der 1949 die Charts stürmt und mehr als 1 Millionen Mal verkauft wird, bringen ihm kaum Tantieme – den Musikverlagen sei Dank. Erst seit Hookers Erfolgsalbum von 1988 „The Healer“, das mit 4 Grammys ausgezeichnet wird, kann er die Gagen verlangen, die er längst verdient hat.

Geschichte am Rande: Als „reicher“ Mann erfüllt sich John Lee Hooker einen alten Traum. Er kauft sich ein Auto. Nein, er kauft sich ein Dutzend Autos. „Ich war schon immer von Autos fasziniert“, erklärt er im Interview. „Und jetzt kann ich sie mir endlich leisten.“ „Aber Sie haben doch gar keinen Führerschein.“ „Ich weiß; aber ich schau sie mir immer wieder gerne an und lasse mich fahren.“

Anders als Louis Armstrong, der sich nur selten zu Rassenproblemen äußert, beklagt der Gentleman des Swing, Duke Ellington, sehr deutlich die Folgen von Sklaverei und Segregation.

The music of my race is something more than the American idiom …It is the result of our transplantation to American soil, and was our reaction in the plantation days to the tyranny we endured. What we could not say openly, we expressed in music.

Blog: Laura Townsend. How Duke Ellington Used His Appearance to Subvert Racist Stereotypes, and Other Ways He Fought Racism. ON: PBS American Masters. 24. März 2021.
How Duke Ellington used his appearance to subvert racist stereotypes, and other ways he fought racism | American Masters | PBS

Ich lege Ellingtons Suite „Black, Brown and Beige“ auf den Plattenteller. Uraufführung am 23. Januar 1943 in der New Yorker Carnegie Hall. Fast alles, was Rang und Namen hat, ist anwesend, die First Lady Eleanor Roosevelt, Count Basie, Frank Sinatra, Langston Hughes … Der Abend ist nicht nur eine musikalische Premiere, sondern zugleich eine Spendengala für den „Russian War Relief“, der einen Monat nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juli 1941 gegründet wird. Die Spendengelder dienen zur Unterstützung der notleidenden sowjetischen Bevölkerung.

Laura Townsend schreibt in ihrem Blog über die Uraufführung:

His performance was revolutionary. By taking the stage as a conductor and performing a piece of music he wrote specifically about the Black struggle, Ellington was making a statement larger than the music itself. He took the lessons he had learned as a child to use his own platform and achievements to fight racial injustice, and put them into practice at the highest level.

Während Townsend die Suite selber „nur“ beschreibt, geht es Peter Kemper vor allem auch um die musikalische Umsetzung der Ellingtonschen Forderungen. Dazu später mehr.

Viele Jahre treffe ich Kemper beim Frankfurter Jazzfest, dem ältesten in Deutschland. Er sitzt oft in seiner Sprecherkabine für den HR oder wandelt durch die Hallen. Wir haben uns immer wieder über Strömungen im Jazz, neue und alte Entdeckungen und die aktuellen Künstler des jeweiligen Festivals ausgetauscht. Er teilt meine Begeisterung für „Das Kapital“ und die „HR Bigband“. Kempers musikalische Interessen kennen fast keine Grenzen, und so schreibt er über John Coltrane genauso wie über Eric Clapton, die Beatles, Jimi Hendrix, Helge Schneider und Muhammad Ali.

Jetzt hat er ein faszinierendes Buch über die Emanzipationsgeschichte der Afroamerikaner in den letzten 100 Jahren anhand der Geschichte des Jazz geschrieben. Eine bis dato neue Sicht auf diese Geschichte, die selbstverständlich auch mit Sklaverei zu tun hat.

Kempers Grundannahme: Jazz ist als Innovation von Afroamerikanern entstanden und hat sich im Kontext ihrer Emanzipationsbewegung und ihres Kampfes um Bürgerrechte entwickelt. (S. 11). Ich hoffe, dass Hendler, dessen Forschungsergebnisse nicht unbedingt mit Kempers Grundannahme übereinstimmen und Kemper auf dem kommenden Darmstädter Jazzforum 2025 dazu diskutieren werden.

Mein „Problem“ mit dem Buch: Kempers Ansatz beruht auf der Befassung mit Musikerinnen und Musikern von Louis Armstrong über Abbey Lincoln, Archie Shepp und Miles Davis bis zum Art Ensemble of Chicago bis zu „The Future is Female“ mit Matana Roberts, Moor Mother und Angel Bat Dawid. Die spannend geschriebenen 18 Kapitel auf 752 Seiten werden so zu einer beeindruckenden Tour de Force aus Lesen und stundenlangem Hören.

Kempers Bewunderung für „eine(n) der originellsten Philosophen unserer Tage“ (S. 472), den koreanischer Byung-Chul Han, kann ich mich nach meinen Erfahrungen mit Han, allerdings nicht anschließen (s. Blog Nov. 2023). Da klaffen doch zwischen dem Schreiben z. B. gegen Narzissmus („Vom Verschwinden der Rituale“) und seinem gelebten Narzissmus Galaxien.

Ach ja, hier noch Kempers Fazit zur Ellington Suite:
Die streckenweise wie Caféhaus-Musik klingende Komposition kam nicht im Entferntesten an die in Ellingtons Skizzenheft notierten aufrüttelnden Zeilen heran, wo es heißt:
Who brought the dope
And made a rope Of it,
to hang you
In your misery  …
And Harlem …
How’d you come to be
Permitted
In a land that’s free

Peter Kemper. The Sound of Rebellion. Zur Politischen Ästhetik des Jazz. Ditzingen 2023, S. 63f.

Wie war das noch mal mit meinem Blog?

Das Buch von Ian Zack über Odetta. A Life In Music And Protest. Boston 2020 liegt noch ungelesen auf meinem Tisch. Ich stöbere in dem Buch. Eine Liebeserklärung an eine der viel zu wenig beachteten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts.

Odetta (1930, Birmingham, Alabama – 2008)

Rassentrennung, Rassenhass, Diskriminierung, Gewalt begleiten Odetta von Kindesbeinen an. Ihre alleinerziehende Mutter zieht mit der siebenjährigen Tochter ins liberale(re) Los Angeles. Doch auch dort wiederholen die Schulbücher die immer gleichen Lügengeschichten:

The slaves, too, usually led a happy life. … they were usually treated humanely and often with great consideration. They had good food and warm clothing. When their daily work was done they were allowed to go to their cabins … There they could sing, and dance, and enjoy themselves in other ways.

Gertrude and John Van Duyn Southworth. American History. Syracuse NY 1933, S. 167f. Zit. in: Ian Zack. Odetta. A Life In Music And Protest. Boston 2020, S. 13.

Zum Glück nimmt der Stiefvater Odetta mit zu den Auftritten von Duke Ellington, Count Basie, Nat King Cole und anderen farbigen Swing Bands. Sie singt im Kirchenchor. Ihre Stimme wird „entdeckt“. Sie erhält eine Ausbildung zur Opernsängerin, fühlt sich aber der Folkmusik stärker verbunden. Sie wird zu einer der wichtigsten Protagonistinnen der Folk- und der Bürgerrechtsbewegung. Sie beeinflusst Künstler wie Bob Dylan, Joan Baez, Janis Joplin, Rhiannon Giddens und Miley Cyrus, um nur einige zu nennen.

Wie viele andere Künstler auch, erlebt Odetta zahlreiche Höhen: Mentoren wie Pete Seeger und Harry Belafonte, grandios gefeierte Auftritte und Erlebnisse z. B. beim Marsch auf Washington 1963, während ihrer überaus erfolgreichen Europa- und Afrika-Tournee 1964, beim Woody Guthrie Tribute 1966, etc. Unvergessen für mich ihr Konzert auf dem Berliner Jazzfestival 1973, wo wir sie mit Standing Ovations feiern. Anschließend betritt B. B. King mit seiner völlig irritierten Band die Bühne. Sein erster Satz: „Yeah, aeyh, we love her too.“

Aber auf die Höhen folgen, wie so oft, Niederschläge und Abstürze: Alkohol, schlechte Verträge mit der Musikindustrie (Mitte der 1990er Jahre beträgt ihre Steuerschuld mehr als 27.000 USD und ihre Kreditkarte ist bis zum Anschlag überzogen), neue Stars wie Bob Dylan, Rolling Stones, Beatles, Kinks, die das Interesse sowohl der Musikindustrie als auch der Hörer in neue Richtungen lenken.

Die Verleihung der National Medal of the Arts and Humanities durch Präsident Bill Clinton bringt ab 1999 Odettas Karriere auf einen neuen Höhepunkt. Dazu trägt auch das im selben Jahr erschienene äußerst erfolgreiche Album „Blues Everywhere I Go“ bei ihrem neuen Label MC Records und die Grammy Nominierung im Folgejahr bei.

2000: Odetta stellt in der Knitting Factory in New York ihr neues Bluesalbum vor und haut uns um. Wie so oft beginnt sie mit ein einem Zitat aus dem Buch „Return to Love“ von Marianne Williamson:
Our deepest fear is not that we are inadequate.
Our deepest fear is that we are powerful beyond measure.
It is our light not our darkness that most frightens us.
We ask ourselves, who am I to be brilliant, gorgeous,
talented and fabulous?
Actually, who are you not to be?
You are a child of God.

Danach bannt sie uns fast drei Stunden lang mit ihrer klaren, kraftvollen Stimme. Sie singt „House of the Rising Sun“. Mitten im Lied stoppt sie, zitiert a capella einige Zeilen aus der alten englischen Ballade „One Morning in May“: When I was a young girl I used to seek pleasure,
When I was a young girl, I used to drink ale;
Out of the alehouse and into the jailhouse,
My body is ruined, they left me here to die.

Bereits schwer gezeichnet von ihrer Krankheit, im Rollstuhl, die Sauerstoffflasche griffbereit, unterstützt Odetta Pete Seeger im Herbst 2008 bei einem Wohltätigkeitskonzert im New Yorker Beacon Theatre für sein „Hudson River Clearwater“ Projekt. Am 02. Dezember stirbt Odetta.

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Woody Guthrie (1912 Oklahoma – 1967 New York)

Verfasser unzähliger Lieder. Zentrale Figur der amerikanischen Folkmusik. Sein Sohn Arlo führt das Erbe seines Vaters fort.

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Pete Seeger (1919 NYC – 2014 NYC)

Urgestein der Folkmusik, politischer Aktivist, Umweltschützer (u. a. „Hudson Sloop Clear-Water“ gegen die Verschmutzung des Hudson). Unvergessen das großartige Fest zu seinem 90. Geburtstag unter dem Clearwater-Segel mit fantastischen Künstlern, u. a. Bruce Springsteen, Warren Haynes, Joan Baez, Arlo Guthrie, Dr. Bernice und ihre Tochter Toshi Reagon, Kris Kristofferson sowie Petes Schwester und sein Enkel Tao, der in Opas Fußstapfen eingetreten ist. Kein Konzert, in dem Pete die Menschen nicht zum Mitsingen animieren konnte: There is no such thing as a wrong note, as long as you are singing.

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Odetta (1930 Birmingham, Alabama – 2008 NYC)

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Louis Armstrong (1901 New Orleans – 1971 NYC)

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Duke Ellington (1899 Washington D. C. – 1974 NYC)

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John Lee Hooker (vor. 1917 Tutwiler, Mississippi – 2001 Los Altos, Kalifornien)

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Muddy Waters (1913 Issaquena County, Mississippi – 1983 Westmont, Illinois)

Die Session mit den Rolling Stones gibt ein schönes Beispiel für „über Tische und Stühle gehen“ und wie unaufgeregt 1981 in den Clubs gespielt wurde.

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Sister Rosetta Tharpe (1915 Cotton Plant, Arkansas – 1973 Philadelphia)

Blues, Gospel und Jazz Sängerin; eine der ersten Musikerinnen mit elektrischer Gitarre. Der Blues Gosepel Train von 1964 war „one of the most unique and intimate concerts from the british blues revival of the 1960s filmed in a suburb of Manchester.“ British Blues – Articles and Essays – Blues and Gospel Train – Welcome to Earlyblues.org

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Sonny Boy Williamson (1914 Madison County, Tennessee – 1948 Chicago)

Sir Sonny Boy Williamson etablierte die Mundharmonika zum Melodieinstrument im Blues. Und er war ein großer Spaßvogel.

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T-Bone Walker (1910 Linden, Texas – 1975 Los Angeles)

Pionier der elektrischen Gitarre und des Chicago Blues.

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John Mayall (1933 Cheshire, GB – 2024 Los Angeles)

Mayall gehört eigentlich nicht in diese Reihe. Doch die Nachricht von seinem Tod am 22. Juli hat beschert mir eine Spezialsession mit seiner Musik.

Mayall ist einer der wesentlichen Pioniere des britischen Blues. Der Rolling Stone bezeichnet ihn auch als „Pate des britischen Blues“. Zahlreiche Größen aus Blues und Rock starten ihre Karriere in Mayalls Bluesbreakers, darunter Eric Clapton, Mick Fleetwood, John McVie, Mick Taylor.

Mein Onkel Walter (Musikhaus Averkamp in Coesfeld) schenkt mir 1968 „John Mayall Live at Klooks Kleek“ von 1964. Er will die „unverkäufliche“ Platte einfach loswerden. Es ists meine erste Bluesplatte, und seitdem ist der Blues fester Bestandteil meiner Musik.

Seine letzte Tour, die Mayall auch nach Deutschland führt, macht er 2022; weitere Auftritte werden durch die Corona Pandemie zunichte gemacht. Am 22.07.2024 stirbt er im Alter von 90 Jahren

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Ned Sublette (1951 Lubbock, Texas)

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Willie Nelson (1933, Abbott, Texas)

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Rhiannon Giddens (1977, North Carolina)

S. a. Blog Sept- 2023 mit Musikbeispielen inkl. Lyrics

Im Februar gibt sie ein tolles Konzert im kleinen unbestuhlten Berliner Lido, sichtlich erfreut, dass wir dichtgedrängt vor der Bühne stehen. Welch ein Unterschied zu ihrem Konzert am Tag zuvor in der vornehmen Hamburger Elbphilharmonie. Nach einer Stimmbänder-OP im Dez. 2023 weiß Rhiannon Anfang des Jahres nicht, ob sie die geplante Tournee überhaupt starten kann. Wir erleben sie in bester Laune und wieder bei bester Stimme.

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Archie Shepp (1937 Ford Lauderdale, Florida)

Saxofon, Gesang, Komposition, Literatur- und Theaterwissenschaftler. Shepp beeinflusst die Jazzwelt seit Jahrzehnten. Auch heute hat der „angry young man“ nichts von seiner musikalischen Neugier (z. B. Zusammenspiel mit Hip Hop Musikern) und seinem kompromisslosen Kampf um Menschenrechte verloren.

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HR Bigband

Eine der weltweit besten Bigbands, immer wieder mit tollen Gästen.

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Kuba

Zum Schluss noch ein bunter Strauß an Musik aus Kuba, beginnend mit der vom Pianisten Chucho Valdés gegründeten Band Irakere, die seit Anfang der 1970er Jahre wegweisend für den afro-kubanischen Jazz werden. Zahlreiche Stars der kubanischen Musik wie Oscar Valdés, Arturo Sandoval und Paquito D`Rivera spielten in der Band.

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