Gary Victor – Voodoo Krimis 1 – 4, Litradukt Verlag, 2013 bis 2019
Knapp 12 Millionen Einwohner, davon rd. 90 % schwarz, überwiegend extrem arm und ohne festen Job; viele arbeitslos.
Seit Columbus Ziel ausländischer Invasoren vor allem aus USA, Spanien, Frankreich, Chile und Brasilien.
Dear me, think of it! Niggers speaking French.
US-Außenminister William Jennings Bryan 1912 über Haiti, zit. in: Los Angeles Times, 24.10.1993, Joel Dreyfuss
Grausamkeiten, Korruption und Abhängigkeiten der Herrscher vom Ausland von Dessalines bis zu Papa Doc (Francois Duvalier), Baby Doc (Jean-Claude Duvalier), Aristide und bis zu Jovenil Moise. Jahrzehntelange blutige Kämpfe zwischen Anhängern und Gegnern, zwischen Reich und Arm.
Von schweren Erdbeben in tiefstes Chaos gestürzt: 2010 mehr als 300.000 Tote und fast zwei Millionen Obdachlose. 2021 „nur“ einige tausend Tote.
Tausende seit Jahr und Tag auf der Flucht vor dem nie enden wollenden Elend in die Dominikanische Republik, nach Chile, in die USA. Auch heute wieder und immer noch Bilder von US-Grenzschützern, die brutal Jagd auf Flüchtlinge machen.
Aberglaube und Voodoo nach wie vor weit verbreitet und mit großem Einfluss in weiten Teilen der Bevölkerung.
Vor diesem Hintergrund spielen die Voodoo-Krimis von Gary Victor (*1958 in Port-au-Prince). Nach dem Studium der Agrarwissenschaften arbeitet Victor zunächst in verschiedenen Ministerien Haitis, zuletzt als Generaldirektor im Kultusministerium, wo er Bürokratie und Korruption aus erster Hand erlebt. Ausgestattet mit diesen intensiven Erfahrungen, widmet er sich voll und ganz der Schreibkunst. Seine Erzählungen und Romane, seine Zeitungs- und Radiokolumnen und auch seine Theaterstücke zeichnen Haiti als brutales Absurdistan.
Die im kleinen Verlag Litradukt erschienenen vier Krimis rund um den Inspektor Dieuswalwe Azémar sind „(d)üster, witzig, grotesk, auf höchstem literarischen Niveau. Große Klasse.“ (Thomas Wörtche, Bestenliste Weltempfänger, 2015). Mit wenigen Pinselstrichen – kein Krimi umfasst mehr als 170 Seiten –gelingt es Gary Victor, ein eindringliches Bild des Landes zu zeigen.
Azémar, ehemaliger Eliteschütze, Einzelgänger, ungepflegt mit wenig appetitlichen Ausdünstungen, nicht korrupt, aber süchtig nach kleren, auch Tranpe genannt, dem Haitianischen Zuckerrohrschnaps, dem er einen Großteil seines Gehaltes opfert, rücksichtslos gegen die Feinde, egal ob Mann oder Frau, trifft mit seiner Beretta schnell und tödlich, lässt sich von Magiern helfen und wird von Magiern bedroht. Und immer wieder vertraut er auf seinen Namen: Dieuswalwe mit zwei w – „Gott sei gelobt“.
Band 1: Schweinezeiten, 2013
Im Auftaktband rettet Azémar mit Hilfe seiner Beretta die Tochter einer Freundin aus den Händen eines bokó, eines Magiers. Der Preis? Drei Tote. Ende der Geschichte? Nein. Azémars Kollege Colin, der sich vor Jahren von Azémar ab- und der Korruption zugewandt hatte, ist in Not. Dessen Partner liegt bereits von Schüssen durchsiebt auf einer Müllhalde. Zudem sieht Azémars Tochter Mireya im Traum, wie sich Colin in ein Schwein verwandelt.
Die Aufrichtigen und Ehrlichen krepieren in diesem Land. Sie fressen Scheiße. Ich bin nicht aus New York weggegangen, um in Haiti Scheiße zu fressen. Bis zu meiner vorzeitigen Pensionierung will ich mein Haus fertig bauen.
Und wie soll das in diesem Land anders gehen, als mit Gewalt.
BAND 2: Soro, 2015
Wir schreiben das Jahr 2010. Das gewaltige Erdbeben hat nahezu das gesamte Land in Schutt und Asche gelegt. Die Frau von Kommissar Solon, einem der wenigen Freunde Azémars, wird nackt und tot in den Trümmern gefunden. Fremd gegangen, aber auch ermordet? Dieuswalwe Azèmar muss den Fall übernehmen. Wie aber soll er den Fall lösen, war er doch der Liebhaber.
Zu allem Unglück taucht auch noch Azèmars Ex-Geliebte Marie-Marhte auf. Sie beklagt den Erdbebentod ihres neuen Freundes, der unter den Trümmern begraben liegt. Wie kann der dann aber in der Nacht zu ihr kommen und sie lieben?
Ist das normal, dass ein Toter kleren trinkt, versucht, sich ein Motorrad auszuleihen und obendrein mit seiner Geliebten schläft?
Azémar besäuft sich mit Soro-Schnaps, die einzige Möglichkeit, dem scheinbar Aussichtslosen zu begegnen und irgendwie zu einer halbwegs zufriedenen Lösung zu kommen. Leider ist der Schnaps gepanscht und führt zu Gedächtnislücken. Wie kam Azémar in das Hotel zu seiner Geliebten? Und was hatte ihm in der Liebesnacht Solons Frau erzählt? Ihr Mann, der Kommissar, werde von mächtigen Feinden bedroht. Azémar müsse ihm helfen.
Ein wilder Strudel aus Magie, Schnaps, Verirrungen und Verwirrungen und ganz viel Gewalt, dem zum Schluss kaum jemand lebend entrinnen kann.
Band 3: Suff und Sühne, 2017
Wer einmal ungeschönt lesen möchte, was Entziehung bedeutet, lese Suff und Sühne. Azémar hatte die Wahl: Jobverlust oder Entziehung. Und so quält er sich durch die Hölle der Entziehung, immer wieder am Rande der Aufgabe oder des Todes, voller alter Erinnerungsfetzen, fürchterlicher körperlicher und psychischer Reaktionen.
Dass man sich an etwas nicht erinnert, heißt jedoch nicht, dass es nicht stattgefunden hat. Sein Gehirn funktionierte mit soro, ob gepanscht oder nicht. Er musste jedenfalls mit dem Alkohol aufhören. Für sich. Für Mireya (seine Tochter). Aber ohne Alkohol, ohne soro, das war eine andere Hölle. Ein Ort des Leids. Ein Ort, an dem höchst reale Spinnen ihr Netz webten, um einen zu fangen und mit ihren Klauen auszuhöhlen, bevor sie einem die Eingeweide herausrissen und sie verschlangen. … Ein Ort, dem sich die Engel nicht zu nähern wagten, um den Menschen Rat und Hilfe zu bringen.
In diesen Abgrund tritt die Tochter des toten Generals Ramos Racelba als Racheengel. Racelba, ranghoher brasilianischer Kommandant der UN-Mission in Haiti, war vor Jahren tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden wurden. Sie glaubt nicht an den Selbstmord ihres Vaters und sieht in Azémar den Mörder, den sie jetzt töten will. Sie wirft Azémar Fotos hin, die im Detail zeigen, wie er den General erschießt. Das muss eine Fälschung sein. Aber wieso sieht alles so echt aus?
Er war kein Mörder. Er tötete nur aus einem Grund: Es gab keine Justiz. Die Gesellschaft, in der er lebte, katzbuckelte vor einer Ansammlung von Mördern. Er tötete, um denen, die auf diesem Inseldrittel geblieben waren, eine Chance zu geben, so winzig sie auch sein mochte.
Das Prinzip der Sühne durfte aus dem Gedächtnis der Lebewesen und der Dinge nicht verschwinden.
Azémar überwältigt die junge Frau und fesselt sie. Doch schon stürmen Soldaten seine Wohnung. Azémar flieht. Die junge Frau wird erschossen und Azémar wegen Mordes an ihr gesucht. Unter den Fahndern auch der brasilianische Hauptmann Arantes, Mitglied eines mächtigen kriminellen Netzwerks.
Sie werden mir den Mord anhängen. Eine Frau wurde bei mir getötet. In meinem Zustand kann nichts mich entschuldigen. Die gesamte Maschinerie ist gegen mich. Ein guter Anwalt könnte wenigstens plädieren, dass ich unzurechnungsfähig sei, dass ich durch die brutale Kur den Verstand verloren hätte.
Dann wird der Sohn des Industriellen und mächtigen Oppositionellen Harras entführt. Harras verlangt von Kommissar Dulourd, dass der fiberhaft gesuchte Azémar den Fall übernimmt.
Mächtige Militärs und Polizisten, Wirtschaftsbosse und Banditen, die vom Volk geliebt, von den Herrschenden verachtet werden, die aber zugleich deren Geschäftspartner sind – jeder von ihnen hat eigene Interessen, die nur in jedem Fall gegen Azémar gerichtet sind. Ein zu Tode gefolterter Freund aus einem früheren Fall kehrt lebend zurück und erweist sich als mordender Bandit.
In dieser Gemengelage und dem nun immer deutlicher werdenden Komplott gegen Azémar, in das auch seine Tochter Mireya hineingezogen wird, bleiben ein schwuler IT-Experte, ein als gefährlich bezeichneter bókó (Magier) und der Griff zur Beretta seine beste Option.
Der Ausgang eines so ungleichen Kampfes war nicht mit Sicherheit vorauszusehen, aber diejenigen, die geglaubt hatten, sie könnten den kranken Löwen leicht zur Strecke bringen, würden dafür teuer bezahlen.
Gary Victor verknüpft mit viel Tempo und Witz den fast aussichtslosen Kampf eines vom Alkohol nahezu zerstörten, aber nicht korrupten Polizisten gegen übermächtige Gegner mit einem scharfen Blick auf ein desaströses Land in der Hand korrupter und verderbter Eliten.
Menschen auszuspeien, die ihre einzige Ressource, ihren Schweiß und ihr Blut, an die neuen Herren aus dem Norden verkauften, jene Herren, die sich im Gegensatz zu früheren Kolonialherren nicht darum scherten, ob die Sklaven sich von der Zwangsarbeit erholten … Angesichts des allgemeinen Elends konnten sie unbesorgt einen Schwarm von Arbeitern entlassen und sofort eine Masse neuer anheuern.
Band 4: Im Namen des Katers, 2019
Azémar, inzwischen noch weiter abgemagert, wieder fest im Griff des Alkohols, lebt nach wie vor von seiner Tochter getrennt.
Landeng, der gefürchtete bókó, hat Azèmar einen garde, einen Geist unter die Haut seines Armes genäht, damit er stark genug sei, den Kampf gegen seine Feinde zu bestehen und zahlreiche Morde an kaka-kleren Alkoholikern aufzuklären. Von denen, die allesamt glaubten, Katzenfleisch sei die köstlichste Beigabe zu ihrem Billigschnaps, waren inzwischen fast 30 die Kehle durchgeschnitten worden, und Azémar hat nicht die geringste Spur.
Dummerweise löst der garde fürchterliche Albträume aus, in denen Azémar mit der Machete auf eine vor ihm knieende Frau losgeht. Nur unter Aufbietung aller seiner Kräfte verhindert Azémar, dass er die Frau köpft. Doch die Kräfte lassen immer weiter nach. Der bókó muss den garde entfernen, um die Katastrophe zu verhindern. Doch der weigert sich.
Und jetzt kommt auch noch sein Chef, Kommissar Dulourd, mit einer blöden Bitte: Azémar soll seine Ermittlungen unterbrechen und den vermissten Georges einer alten Freundin des Chefs wiederfinden.
„Das ist mein Georges“ sagte sie. „Schauen Sie, wie schön er ist!“
Dem Inspektor verschlug es die Sprache. Georges! Ein Kater! Ein prächtiger schwarzer Perser!
„Das ist ein Scherz“, stotterte Azémar.
Er war aufgestanden, beleidigt, erbost.
Doch die ihm persönlich gebotenen 15.000 US-Dollar sofort und weitere 15.000, wenn er den Kater zurückbringt, lassen den verarmten Azémar schwach werden.
Was kann nur an einem Kater so wertvoll sein, dass ihm so viel Geld für die Wiederbeschaffung gezahlt wird? Wo ist der Haken? Wieso hieß der überhaupt Georges? Das war doch der Name des verstorbenen Bruders der Auftraggeberin, dem geradezu unheimliche Fähigkeiten nachgesagt wurden.
Und so dreht sich der blutige Kampf um den Kater, in einen gegen rivalisierende Gangs. Ihre Anführer wollen das Herz des Katers essen und dadurch unbesiegbar werden. Gesteigert werden kann die Macht nur dadurch, dass zusätzlich auch das Herz des rivalisierenden Gangchefs verputzt wird.
Zu allem Unglück wird Azémar gezwungen, an einem kleren-Wetttrinken einer der beiden Gangs teilzunehmen. Dem Sieger winkt eine wertvolle Kette aus goldenen Trauben. Ein Wettbewerb, der nicht ohne tote Teilnehmer beendet sein wird.
Erneut stellen sich Männer und Frauen in den Weg des Kommissars und lassen ihr Leben. Aber auch Azémar muss zahlreiche Blessuren einstecken in seinem endlosen Kampf gegen das Böse, auch wenn er selbst dazu zur Selbstjustiz greifen muss.
Wieder trifft jeder Satz des Autors, wird kein Wort verschwendet. Ein weiterer ungetrübter Lesespaß, der uns in das korrupte, magische und am Rande des Untergangs stehende Land führt.
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Religion, Sklaverei, kulturelle Vielfalt mit starker afrikanischer Prägung, Hunger und Not, elendes Leben im Exil, Glaube an Hexerei, auch an Voodoo (Geist, Gott, heiliges Objekt) – all das hat starken Einfluss auf die Entwicklung der Musik Haitis genommen, ein Einfluss, der bis in unsere Zeit anhält. Eine besondere Bedeutung hat der haitianische Vodou (Voodoo), an den auch heute noch rd. 90 % der Bevölkerung glauben, obwohl mehr als 80 % von ihnen Katholiken sind.
Viele berühmte Musikerinnen Haitis waren nicht nur Sängerinnen, sondern ebenso Schauspielerinnen und Tänzerinnen. Zu Ihnen gehören etwa Emerante Morse (1918 – 2018) und Martha Jean-Claude (1919 – 2001), die oft gemeinsam im berühmten Rex Theater in Port-au-Prince auftraten sowie Toto Bissainthe (1934 – 1994).
Die brutalen Verhältnisse auf Haiti trieben Martha Jean-Claude nach Kuba, wo sie ein gefeierter Star wurde und ihrer Musik starke kubanische Elemente hinzufügte. Nach 36 Jahren im Exil wurde sie 1986 bei ihrer Rückkehr nach Haiti begeistert empfangen. Toto Bissainthe verließ in jungen Jahren Haiti, lebte 20 Jahre in Frankreich und kam nie zurück auf die Insel.
Jene Heroinnen der haitianischen Musik beeinflussen auch heute noch die Musik junger Musikerinnen und Musiker. Eine unter ihnen ist Malou Beauvoir (* vermutlich in den 1960er Jahren), Schwester des Rockbassisten Jean (Ramones, Kiss). Als Kind haitianischer Eltern, die in die USA ausgewandert waren, begann sie nach dem Studium zunächst sehr erfolgreich in der Tech-Industrie, entschied sich Ende der 1990er Jahre endgültig für die Konzentration auf Schauspiel und Musik.
Auch wenn musikalische Entwicklungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts wie Hip Hop, Dance und House Teil ihrer Musik sind, ist der Einfluss ihrer musikalischen Ahnen und ihrer haitianischen Wurzeln nicht nur spürbar. Malou verweist immer wieder auf ihre spirituelle Kraft.
Der Gitarrist Jean Bélony Murat (BélO, *1979) mischt Reggae mit Afropop und Jazz. Seine Themen: AIDS, obdachlose Kinder, Flucht und Vertreibung, Hunger. Sein erstes Album Lakou Trankil (2005) war noch stark auf die gesellschaftlichen Probleme Haitis fokussiert. Mit Motivasyon (2019) weitet BélO den Horizont auf ähnliche Probleme in der ganzen Welt.
Weitere aktuelle Gruppen sind Lakou Mizik und Djazakala, die bei aller Kritik an den herrschenden Zuständen, jungen Leuten Mut machen wollen. Sie spielen gegen die Angst der Zukunftslosigkeit. Ein ausführliches Feature zu diesen Gruppen gibt es hier: Die Bands Lakou Mizik und Djazakala – Kritische Stimmen aus Haiti (deutschlandfunk.de)
Martha Jean-Claude (1919 – 2001), liebevoll Mamita genannt
Aufnahmen von Martha Jean-Claude finden sich oft auf dem kubanischen Label EGREM, und sind hier kaum erhältlich, z. B. Martha Jean-Claude Chante Haiti – A Voodoo Experience (1975). Vieles ist aber bei Streamingdiensten und auf YouTube verfügbar.
Ein Gespräch mit Martha Jean-Claude ist abgedruckt in Cantaré. Songs aus Lateinamerika, Verlag Neues Leben Berlin 1978 (Lizenzausgabe im Weltkreis-Verlag). Dazu auch ihr Lied Vous (Text, Noten, Übersetzung), in dem sie zum Aufstand der Schwachen aufruft: „Ihr seid die Pfeiler des Gebäudes. / Entzieht ihr euch, stürzt alles ein / wie ein Kartenhaus. / Dann, ja dann / werdet ihr begreifen, / daß ihr eine große Welle seid / von ungeahnter Wucht.“
Emerante Morse (1918 – 2018), bekannt als Emy de Pradines
Einige Aufnahmen aus den 1950er Jahren auf Folkway Records (Creole Songs of Haiti) und Remington (Original Meringues) sind antiquarisch auf Vinyl erhältlich. Aber auch von ihr ist Etliches bei Streamingdiensten und auf YouTube verfügbar.
Toto Bissainthe (1934 – 1994)
In den 1970ern sah ich die mir bis dahin unbekannte Sängerin in Köln und in Paris. Jedes Mal tauchte ich nach wenigen Minuten in den hypnotisierenden Sog ihrer Musik. Drei Sängerinnen (Toto Bissainthe, Marie-Claude Benoit, Mariann Mehtéus) und exzellente Begleiter (Akonio Dolo und Mino Cinélu, Perc., Patrice Cinélu, Git. und Beb Guérin Bass) erzeugten eine Atmosphäre, der sich niemand im Saal entziehen konnte. Ihre Themen kreisten damals fast ausschließlich um Sklaverei und Voodoo. Ihre Texte sind zumeist kurz und repetitiv.
Am Spannendsten für mich nach wie vor ihre Scheibe
Toto Bissainthe Chante Haiti (1977)
Sehr interessant auch ihre Liveaufnahme aus New York mit vielen französischen Chansons (u. a. Rotterdam und Ne me quite pas)
Toto Bissainthe – A New York (1975; 2018 auch auf CD erschienen)
Eine preiswerte Doppel CD gibt einen guten Querschnitt durch ihr Wirken von Voodoo bis Chanson, von traditionellem Gesang bis zur Einbindung elektronischer Elemente.
Retrospéctive (2006)
Eines ihrer berühmtesten Lieder, das auch heute noch vielfach auf Haiti gesungen wird, ist Papadanmbalah (Papa Damballah). Er ist der Schöpfer allen Lebens, die große weiße Schlange, einer der ältesten und am meisten verehrten Geister des haitianischen Vodou. Er beschützt und führt die Menschen.
Papadanmbalah – Papa Damballah
Early before sunrise, we are working
After sunset
We are working
All men are equal
The same master made us
Why can we not know freedom
Freedom … freedom
Oy Papa Damballah
Papa Damballah, Damballah
You know we are your children
Papa Damballah, Damballah
Open your eyes and see us …
Damballah, hey I am asking you
To see where you abandoned your children
Damballah, oy you must come and see
The poverty your children are in.
Malou Beauvoir (* vermutlich 1960er Jahre)
Papa Damballah gehört zum Standardrepertoir von Malou, sei es auf ihren Softjazz- oder ihren Popalben
Is This Love (2016)
Spiritwalker (2018)
Zu Papa Damballah sagt Malou:
I’ve always taken comfort in the guidance and visions they offered me. The spiritual aspect has always infused my music, but is now more evident, representing the essence of my sound, and is fundamental to all that I do.
zit. bei Randall Radic, 21.02.2020
https://medium.com/old-pink/premiere-malou-beauvoir-unveils-spectacular-papa-damballah-70072581d696
Charlie Mingus (1922 – 1979)
Mingus, Jazzbassist, Bandleader, Komponist, Pianist, Autor, gut- und übellaunig, einer der einflussreichsten Musiker des modernen Jazz.
Nach seinem Tod gründete seine Witwe Sue Graham Mingus 1991 die Mingus Big Band. Viele Jahre war die Band – auch als Mingus Group in kleinerem Format – fester Bestandteil der New Yorker Musikszene mit (zwei-)wöchentlichen Auftritten im Fez under Time Café und später im Jazz Standard, der leider der Corona Pandemie zum Opfer fiel. An vielen Abenden saß Sue im Hintergrund, lauschte der Musik und hatte immer Zeit für einen Plausch. Ihr Buch, Tonight At Noon. A Love Story, ist eine wunderbare Erinnerung an ihren Mann.
Besonders auffällig der Einstieg in ihr Buch mit einem Thomas Bernhard Zitat aus einem seiner radikalsten Werke Das Kalkwerk aus dem Jahr 1970.
Als ich Sue nach dem Grund für dieses Zitat fragte, war die Antwort kurz und treffend: „Because that describes exactly the life of Charles“. Und dann haben wir uns lange über Bernhard unterhalten, den wir beide sehr schätzen.
Charles Mingus: The Clown (1957)
Diese Aufnahme bringt Mingus den Durchbruch nach ganz oben in der Jazzwelt. Die Platte wird eröffnet vom Haitian Fight Song mit einer Basseinleitung, die nicht mehr aus dem Ohr geht.
Ich kann es nicht spielen, ohne an Vorurteile, Hass und politische Verfolgung zu denken und wie unfair das alles ist. (In diesem Stück) ist eine Traurigkeit und der Schrei (der Verzweiflung) darüber, und gewöhnlich endet es damit, dass ich spüre: ″Ich habe es gesagt″ – Ich hoffe, jemand hört mich
Zitiert im Begleittext von Marcus A. Woelfle, Charles Mingus 80th Birthday Celebration (3 CDs, 2002)
Mingus Big Band: Blues & Politics (1999)
Alternativ zu der Quintett Aufnahme von 1957 höre ich auch gerne den Haitian Fight Song in der Version der Mingus Big Band