Dezember 2022
 Geschichten

The Scotch

Noch etwas verloren steht Bill auf der Bühne, ein typischer Schotte wie er im Buche steht, inklusive Rauschebart, Hosenträgern und Bauch. Bill erzählt bei Jürgen von der Lippe von The Scotch Single Malt Circle. Wir befinden uns noch in den 80ern. Wer wollte da schon außerhalb Schottlands Whisky trinken? Aber Bill und seine Frau Maggie hatten ihren Club gegründet und hofften über das Fernsehen auf Werbung und neue Mitglieder.

Heinz-Dieter Wilmsen ist Inhaber von Musik im Raum in Essen. Ich kam Anfang der 90er Jahre in seinen Laden. Wir waren uns schnell sympathisch, unterhielten uns über Gott und die Welt und tauschten uns vor allem über Musik, neue und alte Platten aus. Oft saßen wir im roten Ledersofa seines kleinen Hörraums und lauschten dem, was wir auf den exzellenten Platine Verdier Plattenspieler gelegt hatten. Und selbstverständlich kaufte ich einige Apparaturen zum Hören der schwarzen Rundlinge.

Eines Tages hörten wir frühe Nessa-Aufnahmen des Art Ensemble of Chicago aus den 1960er Jahren. Plötzlich stand Heinz-Dieter auf, verschwand und kam wenig später mit zwei Gläsern und einer Flasche Bladnoch Single Malt Whisky zurück. Die traditionsreiche Destillerie war 1993 geschlossen worden. Der neue Eigentümer wollte dort eine Ferienanlage aufziehen, hatte sich dann aber doch Gotteidank kurzfristig umentschieden und die Destillerie zu neuem Leben erweckt. Und dann erzählte Heinz-Dieter von The Scotch:

Er hatte die Sendung mit von der Lippe im Fernsehen gesehen und wollte gerne Mitglied werden. Doch hatten die Idioten keine Kontaktdaten genannt. Also schrieb Heinz-Dieter an den WDR. Nach langer, sehr langer Zeit kriegte er die Anschrift von Bill und Maggie. Flugs setzte er einen freundlichen Brief auf:

Ich habe Euch bei Jürgen von der Lippe gesehen und möchte gerne Mitglied im Single Malt Circle werden. Was muss ich tun?

Schicke uns 100 DM.

Ha, was für ein Trick. Diese Gauner. So kann man den Leuten auch das Geld aus der Tasche ziehen. Egal, Heinz-Dieter schickte 100 DM in dem Bewusstsein, dass er es genauso gut hätte im Baldeneysee versenken können. Doch zu seiner Überraschung erhielt er bald ein Paket. Darin: seine Mitgliedsurkunde mit der Nummer 7 und eine Begrüßungsflasche mit exzellentem Whisky.

Wenige Wochen nach dieser Erzählung erhielt ich Post von Bill und Maggie mit einem handgeschriebenen (!) Begrüßungsbrief und einer Flasche 17jährigen Cragganmore. Und selbstverständlich bekam ich auch mein Zertifikat „Membership No 880“. Offensichtlich hatten Bill und Maggie eine Marktlücke entdeckt. Die Zahl der Club-Mitglieder stieg rasant. Und so, wie Heinz-Dieter mir die Mitgliedschaft schenkte, so machten das mein Geschäftsfreund Hans-Christian und ich einige Jahre lang bei unseren besten Kunden.

Bald nach meiner Aufnahme in den Club besuchte ich auf einer meiner zahlreichen Fahrten von Essen nach Würzburg die Millers in Düsseldorf. Maggie öffnete die Tür, begrüßte mich sehr herzlich und führte mich zu Bill. Da saß er nun im Ohrensessel, der waschechte Schotte, im „Holzfällerhemd“, mit Hosenträgern und stattlichem Bauch und blickte auf sein Regal. Dort, wo andere ihre Bücher stehen haben, hatte Bill sein Regal mit einer illustren Schar an Single Malts gefüllt. Er lud mich auf einen Sip ein und erzählte mir, dem Novizen, von den Unterschieden, von leichteren Einstiegen und echten Herausforderungen.

Die Millers pflegten schon lange vor dem Start ihres kleinen Unternehmens ganz persönliche Kontakte zu unabhängigen Destillen in Schottland. Whisky kauften sie von Anfang nur in Fassstärke. Dadurch kommt er unverschnitten auf die Flasche mit manchmal mehr als 60 % Alkohol. Aber genau das ist das Besondere an ihrem Whisky und macht das Abenteuer Whisky so spannend. Zollprobleme lösten sie sehr kreativ – mehr sei hier nicht verraten.

„Ja, ja“ sagte Bill bei einem meiner ersten Besuche, „achte mal darauf, wie Tages- und Nachtzeit, Stress und Deine Stimmung Deine Wahrnehmung und Dein Geschmackserlebnis beeinflussen. Wie sich die Aromenvielfalt mit jedem Tropfen Wasser, den Du hinzufügst, verändert. Wie unterschiedlich zum Beispiel ein GlenAllachie, den ich gerade im Glas habe, am späten Nachmittag und am späten Abend duftet und schmeckt.“

Bill plauderte, ohne je zu belehren. In den folgenden Jahren schneite ich immer wieder mal bei den Millers rein, erstand einige Flaschen und lauschte den wunderbaren Geschichten von Bill.

Maggie, im Hauptberuf Krankenschwester, kümmerte sich in all den Jahren um die Logistik. Seit Bills Tod 2015 führt sie das Geschäft. Und wer gedacht hat, Whisky sei nur was für Männer, der frage die noch immer sehr rüstige Maggie, die wohl eine der besten Nasen für Single Malts hat. Angesichts der Verleihung des Ehrenpreises „Germany’s Best Whisky Motion 2018“ an Maggie nennt der Whisky Botschafter Maggie völlig zurecht „Deutschlands Grand Dame des Whiskys“ (04.12.2018).

Lang may yer lum reek

Liebe Lesers*, möge Euer Schornstein auch in 2023 kräftig rauchen.

*Gender Probleme? Nicht mit dem Münsteraner Plural. Eine der vielen kreativen Lösungen von Pigor und Eichhorn.