Juli 2022
 Geschichten

„Substanz entscheidet“ (Handelsblatt)

Nicht nur im Krankenhaus kann man sein blaues Wunder erleben (s. meinen Blog „Der Aufenthalt“). Auch in der Welt der privaten, Profit getriebenen Unternehmen geschieht tagein tagaus Wunderliches, zum Beispiel beim Handelsblatt.

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Ich bin seit 50 Jahren treuer Abonnent des Handelsblatts. Leider funktionierte die Zustellung der Papierausgabe trotz aller Reklamationen seit langem nicht mehr. Die kontinuierlich empfohlene Lösung hieß „Umstieg auf die digitale Version“, und Anfang 2022 war es dann soweit.

Die Kündigung des Printabos wurde zum 31.03. wirksam. Daraus resultierte ein restliches Guthaben von 9 Monaten. Und hier beginnt der Putz zu bröckeln.

Generell hätte ich mich gefreut, wenn das Unternehmen von sich aus aktiv geworden wäre und die Erstattung veranlasst hätte. Nun gut, ich werde selber aktiv.

Weil Fakten noch nie so wichtig waren.

Handelsblatt

23.05. Mail an den Leiter Kundenservice mit der Bitte um Erstattung.

24.05. Antwort Mitarbeiterin A: „Gerne zahlen wir Ihnen das Guthaben aus. Bitte teilen Sie uns Ihre gewünschte Bankverbindung mit.“
Am selben Tag erledigt.

14.06. Kein Zahlungseingang. Mail an den Leiter Kundenservice „Allmählich wird es doch ärgerlich …“

14.06. Antwort Mitarbeiterin B: „Wegen eines Systemfehlers wurde Ihr Guthaben leider immer noch nicht ausgezahlt – ich habe die Buchhaltung umgehend informiert. Innerhalb der nächsten 2-5 Werktage müssten Sie einen Zahlungseingang feststellen. Ich hoffe, ich konnte Ihr Anliegen nun final klären.“

23.06. Kein Zahlungseingang. Mail an den Leiter Kundenservice: „Mit was muss ich eigentlich drohen …“

23.06. Antwort Mitarbeiterin C: „Ich kann mich an der Stelle nur für die Unannehmlichkeiten entschuldigen. In der Regel dauert die Auszahlung nicht so lange. Der Betrag wurde zur Auszahlung freigegeben. Dieser sollte auch in den nächsten Tagen gutgeschrieben sein. Sollte dies wiederum nicht passieren, kommen Sie bitte auf mich zurück.“

28.06. Kein Zahlungseingang. Über LinkedIn Info an die Geschäftsführerin A. W.

28.06. Antwort Geschäftsführerin A. W.: „Lieber Herr Averkamp, ich kümmere mich sofort darum und kann Sie nur sehr um Entschuldigung bitten für den Ärger, den wir verursacht haben. Herzlichst …

Na, dann sollte mein Geld ja presto pronto auf meinem Konto sein.

29.06. Anruf von Mitarbeiter D (Customer Service Coordinator B2B). Nach einer kurzen Entschuldigung – mehr hatte ich nun wirklich nicht erwartet -, kommt er zur Sache: „Wir haben in 2021 keinen Zahlungseingang. Schicken Sie uns ein Zahlungsavis …“

Ich unterbreche. „Mir geht es um meine Zahlung für das Jahr 2022 und die Erstattung der Zeit ab April 2022. Zudem ziehen Sie meinen Beitrag seit Jahrzehnten ein, und daran habe ich nichts geändert.“

„Wir hatten letztes Jahr eine technische Umstellung. Daran kann es liegen, dass wir den fälligen Betrag nicht eingezogen haben. Und das hat mit Ihrem Beitrag für das Jahr 2021 zu tun. Also schicken Sie uns bitte einen Nachweis. Den können Sie auch direkt an mich schicken.“

„Aber wie kommen dann Mitarbeitende dazu, mir zu schreiben, dass der Betrag zur Zahlung freigegeben sei. Wie kann das sein, sofern es gar keinen Zahlungseingang gab?“

Ich höre, wie Herr D mit den Schultern zuckt und nicht mehr weiß, was er sagen soll. Ich helfe ihm aus der Klemme und bitte ihn, mir seine Kontaktdaten zu schicken.

30.06. Mail von Mitarbeiter D: „Lieber Herr Averkamp, bezugnehmend auf Ihr Schreiben, möchten wir wie folgt Stellung nehmen: Zunächst bitten wir für die bereitete Unannehmlichkeit und der verbreiteten Falschinformation um Entschuldigung! Ich habe mir den Fall zu Herzen genommen, da wir keines Falls unsere Kunden verärgern möchten, sondern uns stets bemühen, einen hohen qualitativen Standard für unsere Kunden zu setzen.

Folgende Abonnements respektive Kundendatensätze sind bei uns hinterlegt: (folgt Auflistung).

Zahlungseingänge: 1) Handelsblatt Print: Leider ist keine Rechnung für den Zeitraum 01.04.2021 – 31.03.2022 bei uns im System hinterlegt, deshalb benötigen wir einen Zahlungsavis vom vergangenem Jahr, damit wir den Zahlungseingang intern überprüfen können. Die Kündigung ist bereits zum 31.03.2022 hinterlegt! …

Am 24.06.22 wurde nun nachträglich der o.g. Zeitraum für das Handelsblatt Print mit der folgenden RG XXX rückwirkend berechnet; die Rechnung ist dem Anhang zu entnehmen. Sobald uns das Zahlungsavis vorliegt werden wir den Vorgang über unsere Buchhaltung gegenprüfen und bei einer Doppelzahlung natürlich den Betrag erstatten.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Nachmittag und freue mich auf Ihre Rückmeldung.“

01.07. Ich stelle mit großem Unvergnügen fest, dass bereits am 28.06. der in der Mail vom 30.06. ausgewiesene offene Rechnungsbetrag per Lastschrift eingezogen worden war.

Vermutlich geht es dem Verlag so schlecht, dass wirklich jede Minute und jeder Cent zählt. Ansonsten hätte man ja vielleicht auch bis zur Klärung des Vorgangs abwarten können.

04.07. Ich schicke die gewünschten Zahlungsnachweise.

06.07. Mail von Mitarbeiter E aus dem Bereich „Business Kunden“ – ohne Kontaktdaten und daher vielleicht … Aber lassen wir die Spekulation.

„Sehr geehrter Herr Averkamp, vielen Dank für Ihren Zahlungsavis. Herr D hat mich bzgl. Ihres Falles aufgeklärt und ich habe das Anliegen sofort zur Prüfung an unsere Debitoren gegeben und wir erwarten schnellst möglich eine Rückantwort. Vielen Dank für Ihre Mithilfe. Wir werden uns schnellst möglich Persönlich mit Ihnen in Verbindung setzen. Herzliche Grüße“

15.07. Erneute Nachricht per LinkedIn an Geschäftsführerin A W.: Ich berichte über die Mails von Herrn D und Herrn E und fahre fort: „…Bislang keine Antwort, und ich frage mich, was beim HB „schnellstmöglich“ heißt. Wieviel Zeit benötigen die Debitoren, um zwei Zahlungsvorgänge zu prüfen? Offensichtlich gibt es hier einen signifikanten Unterschied zwischen „Abbuchung“ vom und „Einbuchung“ auf das Kundenkonto.

Sehr geehrte Frau A. W., ich finde es ja lobenswert, dass Sie mich aus der Alterslethargie reißen und beschäftigen wollen; aber ich versichere Ihnen, dass ich keine Langeweile habe und meine Tage bestens und zudem sinnvoll gefüllt sind. Sorgen Sie also bitte dafür, dass diese Posse jetzt kurzfristig innerhalb der kommenden Woche abgeschlossen wird.

16.07. Antwort von Geschäftsführerin A. W.: „…, nach meiner Information war alles geklärt. Ich spreche mit den Kollegen und kümmere mich darum, dass es erledigt wird. Schöne Grüße …“

18.07.: Mail von Mitarbeiter E: „vorab verzeihen sie die späte Rückmeldung aufgrund der internen Fehler. Ich konnte Ihren Fall komplett rekonstruieren und die Fehler die seitens IT-Technischer Schwierigkeiten entstanden sind ausfindig machen.

Vorab kann ich Ihnen mitteilen das wir bzgl. Des Handelsblatt Print eine Gutschrift erstellt haben und diese gern sofort zu Auszahlung geben würden, sobald sie uns kurz Rückbestätigen könnten, das die IBAN Ihre Privat IBAN ist. …

Sollten weitere Beträge offen sein bzgl. Gutschriften etc. würde ich mich doch einmal gerne mit Ihnen Abstimmen.

Gerne würde ich sie telefonisch dazu Kontaktieren oder via Mail, wie es Ihnen am liebsten ist.

Ich freu mich auf Ihre Rückmeldung und wir werden nicht schnellstmöglich, sondern sofort alle Maßnahmen ergreifen Ihr Fall im Positiven sinne für sie abzuschließen.“

19.07. Ich bestätige die IBAN.

20.07. Das Geld ist wieder auf dem Konto.

Zu guter Letzt:

Ich habe eine ziemlich einfache Bitte formuliert. Daraus wird ein wochenlanger Marathon, an dem – ohne Berücksichtigung der Menschen in der Buchhaltung – fünf Mitarbeitende und die Geschäftsführerin beteiligt sind. Anscheinend agiert das Unternehmen auf der Grundlage der Chaos Organisation. Ist das nicht eine Kategorie im Spiel Warhammer?

Ich kriege eine Entschuldigung nach der nächsten, eine Zusage nach der nächsten; doch nix passiert. Ist eine Entschuldigung denn nix wert?

Ich habe den Eindruck, dass jeder irgendetwas schreibt, ohne den Vorgang auch nur einmal komplett anzupacken. Arbeitsteilung und Arbeitszerlegung bilden hier womöglich eine ganz neue Form der Arbeitsorganisation.

Eine Ergebniskontrolle durch Vorgesetzte erfolgt offensichtlich nicht. Gut so; denn wer möchte schon als Kontrolletti, als Mikromanagerin in die Annalen eingehen?

Die Beweislast wird auf mich abgewälzt. Na, jetzt mal nicht so harsch. Wir sind doch seit 50 Jahren miteinander verbandelt. Da kann ich doch wohl ein wenig „Nachbarschaftshilfe“ leisten.

Mir wird mitgeteilt, dass auf Grund eines technischen Fehlers kein Abo Beitrag für 2021 abgebucht wurde. Aus welchem Grund wird mir dann das am 28.06. abgebuchte Geld zurück überwiesen? Meckre nicht, und freu Dich einfach.

Was ist mit meiner ursprünglichen Bitte, mir die zu viel gezahlten Beiträge für 2022 zu erstatten? Auch hier heißt es wieder lapidar sinngemäß: „Kunde beweise mir …“. Wie war das noch mal mit der „Nachbarschaftshilfe“?

Wie ich mit meinem letzten Kontakt, Mitarbeiter E, kommunizieren soll, ist mir schleierhaft, verweigert er mir doch in seinen Mails die dazu notwendigen Kontaktdaten. Und was soll dabei noch herauskommen, außer einer weiteren nichtssagenden Entschuldigung? Kunde, mach mal erst Deine Aufgaben und sammle weitere offene Beträge, Gutschriften etc. Und dann wirst Du schon einen Weg zu Mitarbeiter E finden.

Das Handelsblatt hat wohl eine ganz neue Form gefunden, seine Kunden umfassend zu begeistern. Ich verstehe jetzt, was das Unternehmen mit „Substanz entscheidet“ meint.

PS: Die Mailzitate sind Originalzitate inkl. der Fehler.