Mieczyslaw Weinberg (1919 – 1996)
Nicht nur die häufig auf einer Platte zu findenden Violinkonzerte von Weinberg und Britten zeigen die Nähe der beiden fast gleichaltrigen Komponisten (z. B. die Einspielungen von Linus Roth mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Mihkel Kütson); auch die Opern von Britten und „The Passenger“ von Weinberg sind für mich musikalische und inhaltliche Seelenverwandte. Britten (1913 bis 1976) wurde längst auf allen großen Bühnen der Welt gespielt, als Weinberg im Westen noch kaum bekannt war.
Weinberg, 1919 in Warschau als Sohn einer jüdischen Musikerfamilie geboren, trat schon als Kind in die Fußstapfen seiner Eltern und hatte mit zehn Jahren seinen ersten öffentlichen Auftritt als Pianist. Kurz nach Abschluss seiner Ausbildung am Konservatorium überfiel Deutschland Polen. Weinberg floh zunächst nach Minsk, 1941, beim Angriff der Deutschen auf die Sowjetunion, weiter nach Taschkent, um dann 1943 in Moskau zu landen, wo er 1996 starb. Seine Eltern und seine Schwester blieben im Warschauer Ghetto und wurden 1943 im Zwangsarbeitslager Trawniki ermordet.
1943 schickt Weinberg seine erste Sinfonie an Schostakowitsch (1906 – 1975), der sein großes Talent erkennt und ihn nach Moskau einlädt. Schnell entwickelt sich eine enge private und berufliche Freundschaft zwischen den beiden Künstlern. 1953 wird Weinberg unter fadenscheinigen Gründen verhaftet. Einen Monat später führt der Tod Stalins – oder, wie auch kolportiert wird, ein Bittgesuch seines Freundes Schostakowitsch – zu Weinbergs Freilassung. Bis heute gilt er als einer der bedeutendsten sowjetischen Komponisten.
Schostakowitsch schrieb 1974 zu The Passenger:
Ein in Form und Stil meisterhaft vollendetes Werk und dazu vom Thema her ein höchst aktuelles. Die moralisch-sittlichen Ideen, die der Oper zugrunde liegen, seine Geistigkeit und sein Humanismus können den Zuhörer nicht unbeeindruckt lassen.
Grundlage der Oper ist die autobiografische Novelle der polnischen Schriftstellerin Zofia Posmysz. Auf einem Passagierschiff glaubt eine ehemalige KZ-Aufseherin (Lisa) einen weiblichen Häftling aus dem KZ Ausschwitz wiederzuerkennen (Martha). Im Folgenden wechseln Szenen auf dem Schiff mit Szenen in Ausschwitz. Trotz aller Härte und Brutalität endet die Oper mit dem Wunsch Marthas, „dass all diejenigen, die gelitten haben, nicht vergessen werden.“
Als ich die Oper das erste Mal sah, blieb mir anschließend nur die Stille der Nacht, um das Gehörte und Gesehene nachwirken und nachklingen zu lassen. Auch beim wiederholten Ansehen der exzellenten Bregenzer Aufnahme von 2010 stockt mir der Atem. Und auch in dieser Hinsicht treffen sich Brittens beeindruckende und berührende Opern mit Weinbergs Meisterwerk.