März 2021
 Musik

Mieczyslaw Weinberg (1919 – 1996)

Nicht nur die häufig auf einer Platte zu findenden Violinkonzerte von Weinberg und Britten zeigen die Nähe der beiden fast gleichaltrigen Komponisten (z. B. die Einspielungen von Linus Roth mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Mihkel Kütson); auch die Opern von Britten und „The Passenger“ von Weinberg sind für mich musikalische und inhaltliche Seelenverwandte. Britten (1913 bis 1976) wurde längst auf allen großen Bühnen der Welt gespielt, als Weinberg im Westen noch kaum bekannt war.

Weinberg war kein Avantgardist, sondern schrieb einfach nur gute Musik, sehr gute Musik. So wie Schostakowitsch, Chatschaturjan, Lokschin und viele andere. Diese Musik, die sich an der Sinfonik des 19. Jahrhunderts orientierte, galt im Westen aber als veraltet. Man verstand sie nicht und bemühte sich auch nicht erst darum. Unsere eigenen Vorurteile waren es, die Weinberg zu einem Unbekannten machten. Erst die Bregenzer Uraufführung seiner ersten Oper Die Passagierin und das Weinberg-Festival, das David Pountney im Jahr 2010 darum herum veranstaltete, führte zu dem großen Aufschrei: ‚Wie konnte es geschehen, dass wir diesen bedeutenden Komponisten übersehen haben?‘

Programmheft der Badischen Staatskapelle Karlsruhe: Fung – Weinberg – Mussorgsky. 2. Sinfoniekonzert, 02. / 03. 11. 2014

Weinberg, 1919 in Warschau als Sohn einer jüdischen Musikerfamilie geboren, trat schon als Kind in die Fußstapfen seiner Eltern und hatte mit zehn Jahren seinen ersten öffentlichen Auftritt als Pianist. Kurz nach Abschluss seiner Ausbildung am Konservatorium überfiel Deutschland Polen. Weinberg floh zunächst nach Minsk, 1941, beim Angriff der Deutschen auf die Sowjetunion, weiter nach Taschkent, um dann 1943 in Moskau zu landen, wo er 1996 starb. Seine Eltern und seine Schwester blieben im Warschauer Ghetto und wurden 1943 im Zwangsarbeitslager Trawniki ermordet.

1943 schickt Weinberg seine erste Sinfonie an Schostakowitsch (1906 – 1975), der sein großes Talent erkennt und ihn nach Moskau einlädt. Schnell entwickelt sich eine enge private und berufliche Freundschaft zwischen den beiden Künstlern. 1953 wird Weinberg unter fadenscheinigen Gründen verhaftet. Einen Monat später führt der Tod Stalins – oder, wie auch kolportiert wird, ein Bittgesuch seines Freundes Schostakowitsch – zu Weinbergs Freilassung. Bis heute gilt er als einer der bedeutendsten sowjetischen Komponisten.

Schostakowitsch schrieb 1974 zu The Passenger:

Ein in Form und Stil meisterhaft vollendetes Werk und dazu vom Thema her ein höchst aktuelles. Die moralisch-sittlichen Ideen, die der Oper zugrunde liegen, seine Geistigkeit und sein Humanismus können den Zuhörer nicht unbeeindruckt lassen.

Grundlage der Oper ist die autobiografische Novelle der polnischen Schriftstellerin Zofia Posmysz. Auf einem Passagierschiff glaubt eine ehemalige KZ-Aufseherin (Lisa) einen weiblichen Häftling aus dem KZ Ausschwitz wiederzuerkennen (Martha). Im Folgenden wechseln Szenen auf dem Schiff mit Szenen in Ausschwitz. Trotz aller Härte und Brutalität endet die Oper mit dem Wunsch Marthas, „dass all diejenigen, die gelitten haben, nicht vergessen werden.“

Als ich die Oper das erste Mal sah, blieb mir anschließend nur die Stille der Nacht, um das Gehörte und Gesehene nachwirken und nachklingen zu lassen. Auch beim wiederholten Ansehen der exzellenten Bregenzer Aufnahme von 2010 stockt mir der Atem. Und auch in dieser Hinsicht treffen sich Brittens beeindruckende und berührende Opern mit Weinbergs Meisterwerk.

Hören

Violin Concertos. Britten, Weinberg. Linus Roth, Mihkel Kütson Deutsches Sinfonie-Orchester Berlin, 2014

Mieczyslaw Weinberg. Sinfonie Nr. 5 / Sinfonietta. National Polish Radio Symphony Orchestra Katowice, Gabriel Chmura, 1997

Mieczyslaw Weinberg. Concerto for Violin and Orchestra, Op. 67 / Sonata for Two Violins, Op. 69. Gidon Kremer, Madara Petersone, Gewandhausorchester Leipzig, Daniele Gatti, 2020

Mieczyslaw Weinberg. The Passenger. Breed, Saccá, Kelessidi, Rucinski, Teodor Currentzis Wiener Symphoniker, 2010 (DVD)

Zum Reinhören

Gidon Kremer plays Mieczyslaw Weinberg’s 24 Preludes – Trailer

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Mieczyslaw Weinberg. Der Idiot – Trailer, Nationaltheater Mannheim, Uraufführung 2013

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Mieczyslaw Weinberg. Sinfonietta No 2, Op 74 – 3. Adagio. Gidon Kremer, Kremerata Baltica, 2014

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Mieczyslaw Weinberg. Die Passagierin (The Passenger). Semperoper Dresden in Kooperation mit Oper Frankfurt, 2017 – Trailer

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