Duo Bob Vylan
In Spanien, und vor allem in Barcelona, gehen Tausende auf die Straßen und skandieren „Libertad para Pablo Hasél“ und „Rap no es un delito“. Ihnen gegenüber baut sich eine Phalanx der Staatsmacht in bester Schutzausrüstung auf. „It’s the Sound of da Police“ schallt es der Ordnungsgewalt entgegen. Katalonien und das Baskenland sind halt seit jeher die spanischen Zentren des Widerstandes gegen die Monarchie und die Bourbonenherrschaft.
Pablo Hasél sitzt im Knast, weil er in seinen Songs die Monarchie beleidigt und zur Gewalt aufruft. In seinem Lied „Ni Felipe VI“ zitiert Hasél zunächst den König mit den Worten: „No cabe duda de que sin libertad de expresión y de información no hay democracia“ (Es besteht kein Zweifel, dass es ohne Meinungs- und Informationsfreiheit keine Demokratie gibt“, um ihm dann die Verlogenheit dieser Worte um die Ohren zu hauen. Die Saat der Freiheit wird aufgehen, das Regime verschwinden.
Mit „No al Borbo“ (Nein zu den Bourbonen“) hatte der mallorquinische Rapper Valtonyc bereits den Zorn des Regimes auf sich gezogen und zum Dank 3,5 Jahre Knast erhalten. Das Königshaus lässt sich nicht beleidigen. „Los Borbones son unos ladrones“ (Die Bourbonen sind Diebe) wurde dann zu einem Solidaritätssong von 18 Rappern für Valtonyc, Hasél und das Rap-Kollektiv La Insurgencia, die in ihren Liedern gegen die Bourbonenherrschaft singen.
Ich frage den zwanzigjährigen José aus San Sebastián nach Pablo Hasél. Ich kenne José und seine Eltern seit vielen Jahren aus meinen Besuchen in San Sebastián. „Hasél ist spanienweit kein bekannter Rapper. Unter den Top 100 der spanischen Rap-Charts findest Du ihn erst jetzt nachdem seine Verhaftung zu einem Sturm der Entrüstung geführt hat. Bei uns im Baskenland ist er dagegen wegen seiner gegen die Zentralregierung gerichteten Texte bekannt. Hätte der Staat ihn einfach unbeachtet gelassen, hätte kaum jemand Notiz von ihm genommen, erst recht nicht über die Landesgrenzen hinaus. Jetzt geht es gar nicht mehr um Hasél, sondern um die generelle Frage der Meinungsfreiheit. Und da sind wir Basken und die Katalanen mit ihren Erfahrungen sowieso sehr empfindlich.“
Setzen wir über nach England zum Duo Bob Vylan. „Eine Musik, die gefährlich ist“ überschreibt Berthold Seliger seinen Artikel in „Junge Welt“ vom 25.11.2020 über die neue Platte des Duos: „We Live Here„.
2018 gelingt dem Duo auf dem AFROPUNK London Battle of the Bands der Durchbruch. Ihre folgende Punk- und Grime-EP „Dread“ dreht sich immer wieder auf den Tellern der Clubs. Grime, oft als innovative schwarze Kultur bezeichnet, ist eine Mischung aus typisch weißem Punk, HipHop, Rap, Ragga, Dancehall, düsterem Pop. Die Basis ist ein starker elektronischer Einschlag. Grime entstand Ende der 1990er Jahre in England und wurde vor allem über englische Piratensender wie „Rinse FM“ verbreitet. Wiley und Danny Risk gehörten zu den frühen Treibern dieser Musik, die auch nach Jahren vor allem in UK gespielt und gehört wird. Für Vylan liefern dann Jahre später die Sets von Dizzee Rascal, Skepta und Stormzy den Nährboden für den eigenen Weg.
Das aktuelle Album „ist eine Art antirassistische ‚Hymne‘, ein brutal direkter, unverblümter und illusionsloser Bericht darüber, wie es ist, als Person of Color in einer feindlichen Umgebung aufzuwachsen“. Die Brüder klagen an, rotzen ihre Wut raus. Kurze harte Punkrock-Stücke. In ihren Texten nicht minder radikal als Pablo Hasél.
Hier einige Textbeispiele aus ihrer aktuellen Platte:
England’s Ending
This country’s in dire need of a fucking spanking, mate
Look it over, get the fucking dinosaurs out
Yeah, and kill the fucking Queen
She killed Diana, we don’t love her anywayStepped out on crud (mud)
On the hunt like Elmer Fudd
I need funds, I need drugs
I need guns, I need love
I need something that I can move
I need something that I can shot…
Lynch Your Leaders
Lynch your leaders (Lynch your leaders) (wird 13x wiederholt)
…
Next-door neighbours will not save us
Our own country’s trying to bleed us…
Down, down, sell your soul to make a pound
Gotta get it how you live
The poor can’t afford to be proud
Fifteen, growing way too quickly
My school jumper didn’t fit me
I took one brief look around
And stole one from the lost and found…
Another leech, son of an immigrant
Suckling at England’s teat
Ugly duckling of this nation
Suffering from its own defeat…
Man feel low, in a place
Where there’s no houses, heat or hope
Nine to five, move some dope
Sniff some coke just to cope
Till it all comes tumbling down
And we decide to grab that rope (That rope)…
We Live Here
Free school dinners for the poor
Pizza with a side of misery
Teachers said when I leave
No one here will miss me…
This place has got so ugly
But this is my fucking country
And it’s never been fucking lovelyWe didn’t appear out of thin air
We live here…
Remember Stephen Lawrence
He too was free to roam
Eighteen years old at the bus stop
Murdered on his way home…
We didn’t appear out of thin air
We live hereWe didn’t appear out of thin air, mate
We fucking live here, you cunt
Das Duo beschreibt auch im Titelsong „We Live Here“ eigene Erlebnisse und legt die brutale englische Realität zwischen Arm und Reich, zwischen Weiß und Nicht-Weiß offen. Bereits als Kind wird Vylan, Sohn eines jamaikanischen Vaters und einer weißen Mutter, als N***** beschimpft. Vylan verweist auf Stephen Lawrence, einen schwarzen britischen Studenten, der von einer Handvoll weißer Rassisten 1993 ermordet wird. Die fünf Beschuldigten werden „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen. 1999 kommt die von Sir William Macpherson, Richter am High Court, geleitete Untersuchungskommission zu dem Ergebnis, „dass es sich um institutionalisierten Rassismus handelte“ (Wikipedia) mit der Folge, dass der Criminal Justice Act seit 2003 auch die erneute Beweisaufnahme in abgeschlossenen Fällen vorsieht, ganz im Sinne der European Convention on Human Rights.
Wie aber sollen Menschen mit ihren täglichen Beleidigungen, ihrem Ausgegrenzt Sein umgehen? Vylan gehen den künstlerischen Weg, schreien ihre Wut in ihren Texten und in ihrer harten Musik raus. New Musical Express nehmen die Scheibe in ihre Top 100 auf. The Wire, bandcamp, Rough Trade, Louder Than War – alle voll des Lobes.
Doch irgendetwas stört mich:
In „The Wire“ wendet sich Vylan gegen das Punk-Publikum, das zumeist aus mittelalten weißen Cis-Heteros bestehe. Nur, warum machen sie dann Punk? Für welches Publikum, wenn nicht für das Punk-Publikum? Und wenn ich mir Fotos ihrer Auftritte auf bandcamp ansehe, dann sehe ich ein überwiegend junges, weißes Cis-Publikum. Ob Vylan die Texte für dieses Publikum schreibt, ob Vylan bei diesem Publikum politisch auch nur irgendetwas verändert, scheint mir eher unwahrscheinlich. Wen aber will das Duo mit seinen Texten, die von den großen Verlagen als zu brutal abgelehnt werden, erreichen?
Bob Vylan war 2020 das „Face of Doc Martens“. In „The Face“ sagt er dazu: “I love iconic British brand imagery and that’s something Dr. Martens has really nailed over the years. There’s few brands who have been able to create something so iconic that they don’t have to keep on creating something new just to survive, and Dr. Martens is among them. They’re just known for this boot, but it’s so striking that it resonates across all cultures. I want my music to do that too.” Ganz nebenbei: „The Face“ ist ein durch und durch kapitalistisches „style magazine“.
Kann es für einen radikalen Kritiker des englischen Gesellschaftssystems, in dem Reich und Arm immer weiter auseinanderdriften, egal sein, dass Dr. Martens Anfang der 2000er Jahre seine 16 englischen Betriebe schließt, die Produktion nach Asien verlagert und mehr als 1.000 Menschen auf die Straße setzt? Ist es egal, dass, nachdem 2007 wieder erste Produktionen in England stattfinden, dann 2013 das Unternehmen von Permira, einer Private-Equity-Firma, übernommen wird? Sicherlich alles nichts Ungewöhnliches im Kapitalismus und mit zumeist schlechten Folgen für die Beschäftigten, wie die Permira Beteiligungen an Boss und Pro 7 zeigen. Aber gibt es für eine Gruppe, die in ihren Texten und Interviews so eindeutig gegen Kapitalismus zu Felde ziehen, keine Alternativen?
Bob Vylan kritisiert zurecht die typischen Streamingdienste, die dazu verleiten, alles nur schnell und einmal zu hören. Dagegen zielt die Botschaft ihrer Musik in eine andere Richtung: „… we want people to take in. We don’t want people to listen to it once and then never again. Placing a value on that means that the person buying it places a value on it too.“ Doch nachdem die verschiedenen limitierten Platten- und Kassettenauflagen „sold out“ melden, ist auch der Weg zu Spotify, Deezer, Apple Music frei. Botschaft mit Verfalldatum?
Im Interview mit John Robb (Louder Than War) wird aus Vylan fast ein zahmer Tiger, der auch auf einem Treffen Konservativer Applaus kriegen könnte: „We are here for real change and you don’t get change from kicking the crap out of a racist prick who had one too many cans to drink. That’s not how we achieve our change. It might feel satisfying but it’s not how you get change.“
„We Live Here“ ist eine Platte voller Nachdenkens werter Texte mit passendem musikalischem Kleid. Doch sehe ich Vylan weit entfernt von dem, was Seliger über sie resümiert: „Mehr als nur eins in die Fresse des Establishments, hier geht es ums Ganze, Bob Vylan stehen für nicht weniger als den Umsturz.“
Zur Kritik an der Situation in UK siehe auch meinen Beitrag zu Linton Kwesi Johnson