Der 60. Geburtstag – Reden für den Mülleimer
Auf Geburtstagsfeiern geht es oft um Geschenke, meist nicht so großzügig wie in der Autoindustrie, im Stahlkartell oder bei Banken. Dafür aber oft von Herzen. Und zusätzlich zu den Geschenken gibt es vor allem bei Jubiläen Reden an den Jubilar oder die Jubilarin. Die Reden sind dann oft sehr gesetzt, würdevoll, manchmal auch mit Humor durchsetzt.
Doch ist es immer das, was die Rednerin oder der Redner eigentlich sagen möchte?
In den folgenden beiden Stücken geht es nicht um die tatsächliche Rede, sondern um den gedachten Text, um das, was die Gratulantin oder der Gratulant am liebsten sagen würde, dann aber doch in den Papierkorb wirft:
Der 60. Geburtstag: Gratulationen für den Mülleimer.
Der Ehemann gratuliert seiner Gemahlin
Zum Geburtstag liebe Kersten
gratuliere ich Dir von Herzen.
Ich sehe zwar schon die ersten Falten in Deinem Gesicht;
doch denke nicht, ich liebe Dich nicht.Hängebrust und Krampfadern,
dennoch werde ich nicht hadern
und Dich weiter bei mir dulden.
Kleine Macken sind des Alters Schulden.Sicher, immer schneller wirst Du nun alt und runzlig werden,
sitzt im Sessel und denkst ans Sterben.
Deine Stimme wird immer leiser, bis sie ganz versagt.
Sei nicht traurig und nicht verzagt.
Frisch auf mein innig geliebtes Weib,
der Schnitter wartet schon auf Deinen Leib.Nun ja, als besonderen Gruß zu Deinem Ehrentag
hab‘ ich dem Tod ein wenig geholfen, weil ich Dich doch so mag.
Sei versichert, auch auf Deinem letzten Weg lass ich Dich nicht allein,
helfe Dir ganz sanft hinab ins kühle Grab und fange an zu wein‘.Dann schaufle ich Dich auch noch zu.
Jetzt hat mein Leiden endlich Ruh.
Ich muss Dich nicht mehr sehn
und kann meiner eignen Wege gehen.Ich nehme das Haus, den Schmuck, das Geld
und reise mit einer Jungen um die Welt.
Bis auch sie zieren erste Falten;
dann kann ich nicht mehr an mich halten,
und alles beginnt von vorn.
Die Ehefrau gratuliert ihrem Gemahl
Lieber Hugo, toller Mann,
wann bin ich, Dein Weib, mit Gratulieren dran?
Nach Deinen Kollegen und vor allem den vielen Damen im Büro,
Deinen Kegelbrüdern und Thekentrinkern ohne Niveau,
mit denen Du an diesem Tag feuchtfröhliche Runden drehst?Ich warte seit Stunden, habe gegart, gekocht und gebacken,
in Öl gebadet, mich sexy angezogen, ein Mittel genommen zum Entschlacken.Inzwischen ist es tiefe Nacht, das Menü erkaltet, mein Duft verzogen;
ich weiß, Du hast mich auch heute wieder betrogen,
wie Du es machst seit 40 Jahren.Jetzt reicht’s. Ich werde gehen und von Dir fahren.
Nehme alles mit, die Brillanten und das Geld,
trampe mit nem Rucksack durch die Welt.Bin frei zu tun, was ich will und auch nicht.
Du aber bleibst zurück, Du armer Wicht.
Wirst Deine Geliebten verlieren und auch Deine Saufkumpane;
stehst bald allein auf der Welt, Du wilder Germane.Kannst zusehen, wie Du Deine Wäsche gereinigt kriegst.
Und ich freu mich schon, wie Dich der Herd besiegt,
die Nudeln überkochen, das Steak zäh gebraten.
Auf meine Hilfe kannst Du ab jetzt lange warten.
Und auch sicher auf die Deiner tumben Genossen,
die genau wie Du haben zwei linke Flossen.Also
Du dämlicher eitler Geck,
ich bin dann mal weg.