November 2020
 Geschichten

Cindy, Frisörin, nicht aus Marzahn

Endlich darf ich wieder zu Cindy. Wochenlang hatte ich darauf gewartet, wieder bei ihr reinzuschneien. Doch diesmal ist alles anders. Noch vor der Türe heißt es, Hände desinfizieren. Zutritt nur mit Maske. Türe verschlossen, wie beim teuren Juwelier oder in anrüchigen Etablissements. Klingeln und warten. Cindy strahlt mich an. „Es geht wieder weiter. Schön, dass Du da bist. Komm gleich mit nach hinten. Ab sofort müssen wir immer waschen.“ Kein Problem. Endlich werde ich von meiner wild gewachsenen Langhaarfrisur befreit.

Auf die übliche Frage „Wie kurz soll ich die Maschine einstellen?“ kommt die übliche Antwort. „Ohne Aufsatz“, also Meckischnitt. Wir plaudern über Dies und Das. Sie erzählt mit Begeisterung von ihrer Wohnungsrenovierung komplett im Do-it-yourself Verfahren, angefangen beim Möbelbau, übers Tapezieren und Streichen, bis hin zum Schleifen und Versiegeln des Parkettbodens. Und zack, ein Wimpernschlag genügt, meine Maske ist zerfetzt. „Och“ sagt sie, „Glück gehabt, Dein Kopf ist ja noch dran.“ Ja, in der Tat Glück gehabt. Genau diesen Satz hatte ich Jahre zuvor schon einmal beim Frisör gehört. Ich erzähle ihr von einem meiner viele Jahre zurückliegenden Besuche in New York. Ich wollte mir die Haare schneiden lassen, stieg in Chinatown einige schmale Treppenstufen hinab und landete auf dem Frisörstuhl. Die Chefin sieht mich an, ruft dann irgendwas nach hinten in den Laden, und ihr Sohn im Teenageralter kommt angeschlurft. Plötzlich setzt die Schneidemaschine aus. Ein ordentliches Büschel Haare steckt im Scherkopf, klebt aber auch noch an meinem Haupt. Sohnemann ruft Mama. Die legt die Zeitung zur Seite. Hievt sich hoch. Schleppt sich zu uns rüber. Schimpft mit ihrem Sohn. Packt die Maschine. Zieht kräftig. Reißt mir ein Büschel Haare aus. Wechselt die Batterie. Und weiter geht’s. Sie zuckt die Schultern. „Don’t worry, your head is still on your shoulders.“ Ich zahle 7 USD und verlasse um eine New York Erfahrung reicher den Laden.

Cindy will immerhin 14 Euro. Ich: „Hey, sonst habe ich immer 8 Euro bezahlt.“ Sie: „Ja, der Schnitt kostet jetzt 9 Euro und dann noch 2,50 Euro für die verpflichtende Haarwäsche.“ Ich: „Wie kommst Du dann auf 14 Euro?“ Sie: „Wieso? 9 Euro und 2,50 Euro.“ Sie sieht meinen fragenden Blick und die kraus gezogene Stirn. „Ja, und dann kommen da noch ein paar kleine Posten dazu.“ Ich grinse, gebe ihr die 14 und das Trinkgeld.

Nachtrag, November 2020

Drei Besuche später: Cindy’s Preise hüpfen wie der Piepmatz auf der Wiese. Heute sind es 8,80, vielleicht weil in wenigen Tagen der November Lockdown beginnt. Davor waren es 13,20 bzw. 12,60. Das lag dann an der gesenkten Mehrwertsteuer. Seit wann gilt die noch mal?

Ich denke, auch Frauen können nicht alles. Hauptsache ist doch, Cindy kann gut Haare schneiden und mir immer neue Geschichten über den Fortgang ihrer häuslichen Renovierung in Eigenleistung erzählen. Ich finde Cindy klasse.