Februar 2021
 Musik

Böse Menschen haben keine Lieder…

In „Junge Welt“ titelt Berthold Seliger am 25.11.2020 über das britische Duo Bob Vylan und ihre Scheibe „We Live Here“ (zu hören z. B. über Bandcamp): „Eine Musik, die gefährlich ist“. Ich bin mir nicht sicher, ob die Musik des Duos wirklich gefährlich ist, weil ich nicht mehr daran glaube, dass Musik grundlegende gesellschaftliche Verhaltens- und Einstellungsänderungen bewirkt. Bob Vylan sind kompromisslos, treten den „ja-aber-Typen“ in den Arsch und haben die Schnauze voll vom Establishment. „Es ist eine Art antirassistische »Hymne«, ein brutal direkter, unverblümter und illusionsloser Bericht darüber, wie es ist, als Person of Color in einer feindlichen Umgebung aufzuwachsen“ (Seliger). Harter Punkrock mit genauso harter rausgerotzter Wut.

Schwenk

Sommer 2018: Ich habe in Görlitz zu tun. Treffe mich mit meinem Freund Karl zum Abendessen. Gang über die Brücke am östlichen Flussufer in die polnische Schwesterstadt Zgorzelec. Karl beginnt laut zu singen: „In einem Polenstädtchen“. Ich bin entsetzt. „Wieso? Ist doch ein schönes Lied. Das haben wir beim Bund immer gerne gesungen.“ In der Tat findet sich auch dieses Stück im Liederbuch der Bundeswehr und selbstverständlich im Repertoire von Heino. So viel zu deutschem Kulturgut.

Bob Vylan und Karl kommen mir in den Sinn, als ich im Dezember 2020 im Volksliederarchiv die Top 100 der dort aufgerufenen Lieder sehe. Kopf hinter dem Archiv ist Michael Zachcial, der mit seiner Gruppe „Die Grenzgänger“ seit Jahren Musik für ein demokratisches Bewusstsein macht.

Eine Auswahl aus den Top 20 aus dem Volksliederarchiv (Stand Dez. 2020):

Näheres zu diesen Stücken im Anhang.

Faschistisches und rassistisches Zeugs ganz weit oben in der „Hitparade“. Von wegen, solchen Mist finden wir nur in den braunen Liederbüchern der Bundeswehr und der Fallschirmjäger.

Und wieder wird manch einer sagen: „Ja, das ist nicht gut; aber es gibt doch auch so viele schöne Volkslieder.“ Ohne Frage gibt es die. Aber darum geht es nicht, wie auch das oben zitierte Duo Bob Vylan bemerkt. Wer die Parole „Black Lives Matter“ brüllt, aber dann doch lieber keine Fremdlinge in der eigenen Nachbarschaft oder gar im eigenen Haus will, dem soll seine Schreierei besser im Halse stecken bleiben. Weg mit dieser „ja-aber-Mentalität“, mit der alles zugekleistert werden kann. Es sei denn, es dreht sich um Ausländer und Juden. Die sind für weite Teile der Bevölkerung Bedrohung ohne „Wenn und Aber“. Unser ach so demokratischer Staat hat nach 1945 weder seine braune Vergangenheit beerdigt, noch verhindert, dass sich Rechtsradikale, Juden- und Ausländerfeinde seit Jahren nahezu ungestört breit machen, nicht nur verharmlost von den etablierten Parteien, sondern immer wieder hofiert. Wohin das führen kann, muss ich wohl nicht ausführen.

Die nicht gerade linksverdächtige Bertelsmann-Stiftung kommt in einer aktuellen Auswertung einer Studie vom Juni 2020 zu inzwischen nicht mehr überraschenden Ergebnissen: 24 % aller Deutschen haben manifest oder latent rechtsextreme Einstellungen. Bei den AfD-Wählern sind es 56 %.

Fazit zur AfD:

Ihr ideologisches Wählerprofil ähnelt mehrheitlich eher der rechtsextremen NPD als dem der etablierten Parteien. Mag ihr Wahlerfolg bei der Bundestagswahl 2017 noch vor allem ein Erfolg rechtspopulistischer Wählermobilisierung im Schatten der Flüchtlingskrise gewesen sein. Vor der Bundestagswahl 2021 zeigt sich die AfD als eine mehrheitlich durch rechtsextreme Einstellungen ihrer Wähler:innen geprägte Partei, deren rechtsextreme ihre ursprünglich eher rechtspopulistische Orientierung inzwischen dominiert.

Bertelsmann Stiftung – Einwurf 01/2021

Und die hetzen und poltern inzwischen in sämtlichen Landtagen und im Bundestag. Armes Deutschland.


Infos aus dem Volksliederarchiv: https://www.volksliederarchiv.de/

Platz 2: Negeraufstand ist in Kuba

Dieses Lied war in meiner Kindheit in den 50er und frühen 60er Jahren sehr beliebt auf unseren Pfadfinderwanderungen. Auch in der Schule haben wir es ab und an gesungen. Entstanden ist es laut Volksliederarchiv vermutlich Ende der 1920er Jahre unter Kindern und Jugendlichen. Bis in die 1960er Jahre hinein stand es auch in der christlichen Mundorgel. Rassismus pur.

Platz 4: Ob’s stürmt oder schneit (Panzerlied)

Text von Oblt. Kurt Wiehle am 28. Juni 1935 auf dem Transport seines Panzerregiments 1 nach Königsbrück verfaßt – 1935 war das Aufstellungsjahr der Panzertruppe. Als Vorlage diente ihm das faschistische Lied der SS: ‚Es steht an der Ostsee / die eiserne Schar / die Kämpfer für Freiheit aus Judengefahr‘ (‚SS-Liederbuch‘, herausgegeben vom ‚Rasse- und Siedlungsamt‘).

Auch dieser Nazimist wurde 1992 bei der Überprüfung der Lieder im „Bundeswehr-Liederbuch“ nicht beanstandet. Erst 2017 (!) beauftragte das Verteidigungsministerium das Streitkräfteamt, die Lieder „erneut kritisch und auch sensibel“ zu betrachten. Und seitdem? Nix Gedrucktes mehr. Nur noch Lieder im „Intranet der Bundeswehr.“ Inzwischen sicher alles ganz sauber mit „Ein bisschen Frieden“ von Nicole.

Platz 7: Die Fahne hoch (Horst-Wessel-Lied)

Der Text dieses faschistischen Propagandaliedes erschien erstmals im August 1929 in dem NSDAP-Propagandablatt ‚Der Angriff‘. Der Verfasser des Gedichts war der brutale Berliner NS-Schläger Horst Wessels. Dieser war bereits 1922 Mitglied des ‚Rollkommando Friedrichshain‘ und ‚machte Jagd‘ auf sozialdemokratische und kommunistische Jugendliche. Er war ab 1926 SA- und NSDAP-Mitglied und ab 1929 Anführer des besonders brutalen Schlägertrupps ‚Sturm 5‘ in Berlin-Friedrichshain. Er wurde im Januar 1930 erschossen und dann von Goebbels zum Märtyrer hochstilisiert.

Die Melodie vom „Horst-Wessel-Lied“ hingegen ist – wie viele andere Nazi-Lieder – aus älteren Volksliedern zusammengeklaut.

Platz 12: Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein (Erika)

Herms Niel, Hitlers ‚musikalischer Oberzeremonienmeister‘ war gleich zu Beginn der nationalsozialistischen Diktatur in die NSDAP eingetreten und brachte es bald zum Kapellmeister beim Reichsarbeitsdienst. Auf den als Propagandaveranstaltungen inszenierten Reichsparteitagen der NSDAP in Nürnberg dirigierte Niel dann alle Reichsarbeitsdienst-Musikzüge. Seine Marschlieder, die weitgehend der NS-Propaganda dienten, wurden entsprechend ausgiebig vom NS-Regime verbreitet.

Das Lied fand sich u. a. im Liederbuch der Fallschirmjäger.

Das Liederbuch der Fallschirmjäger, herausgegeben vom Bund deutscher Fallschirmjäger e. V. 1983, erschien im Selbstverlag und war nur für den eigenen Gebrauch bestimmt. Im Geleitwort wünscht Rudolf Witzig, der erste Vorsitzende des Bundes Deutscher Fallschirmjäger, dass ‚die schönen Lieder nicht vergessen, sondern von jung und alt in unserer Kameradschaft gesungen werden.‘ Gleich daneben wird der Fahnenspruch der Standarte des Fallsch. Inf. Btl. in Braunschweig aus dem Dritten Reich zitiert …

Die deutsche Nationalhymne wird mit allen drei Strophen präsentiert …. und In dem Lied ‚Es lebt der Schütze froh und frei‚ wird noch vierzig Jahre nach Kriegsende von einem großdeutschen Reich gefaselt! Aber auch ‚Schwarzbraun ist die Haselnuss‘ oder ‚Lustig ist das Zigeunerleben‘ stehen in dem Buch. So wird dann das Leben der Sinti und Roma als zuckersüßer Kitsch geschunkelt und gleichzeitig das Liedgut derjenigen gesungen, die mithalfen, sie in Massen zu ermorden. Von wegen: Böse Menschen haben keine Lieder…“

Platz 13: Auf einem Jägergrab

Ein typisches Soldatenlied aus dem 2. Weltkrieg. Verfasser unbekannt. Da heißt es:

Ob Sturm uns bedroht hoch vom Norden,
Ob Heimweh im Herzen uns brennt;
Wir sind Kameraden geworden,
nicht Tod und Verderben uns trennt
Wir Jäger, wir wissen zu kämpfen
für uns ist das Leben nur ein Spiel
Wir kämpfen auf Tod und Verderben
Die Winde, sie singen unser Lied

Platz 15: Zehn kleine Negerlein

Text und Musik: „Zehn kleine Negerlein“ ist seit 1885 in Deutschland bekannt, geht zurück auf das Lied Ten little Niggers (und vorher Ten little Indians) aus den USA mit eindeutig rassistischem Hintergrund.

Platz 16: Siehst Du im Osten das Morgenrot (Volk ans Gewehr)

Dieses Lied, das zu den bekanntesten und am häufigsten gesungenen Massenliedern des ‚Dritten Reiches‘ gehörte, schrieb der Berliner Hobby-Musiker und Kaufmann Arno Pardun 1931 zwei Jahre vor der ‚Machtergreifung‘ und widmete es Joseph Goebbels (Hodek 1984, 31) – ein unsägliches Haßlied, welches den Nationalsozialisten den Weg ebnen half“