Oktober 2023
 Geschichten

Bahn – mal so, mal so. Teil 1: Das Unternehmen

Nein, ich reg mich nicht mehr auf!
Nein, ich bin nicht mehr sauer!
Nein, ich treibe meinen Blutdruck nicht mehr in die Höhe! Was soll’s!

Wir alle kennen die andauernden Probleme mit der Deutschen Bahn: Macken in und an den Zügen – defekte Klimaanlagen, kaputte Klos, nicht funktionierende Reservierungsanzeigen, vergebliche Kupplungsversuche etc. Signal- und Weichenstörungen. Falsche oder verwirrende Anzeigen auf den Bahnsteigen zur Wagenreihung oder zum Gleiswechsel. Personalmangel. Überlastung des Netzes. Mangelnde Anschlusspünktlichkeit. Bistros, die früh morgens schon keine Croissants und weder Cappuccino noch Latte Macchiato im Angebot haben. Die unendliche Geschichte.

Viele Jahre haben CSU-Verkehrsminister und die ihnen zugeordnete Staatsbürokratie mehr von BMW, Mercedes, Audi und Porsche geträumt, denn von ICE und Cargo und ihre Budgets entsprechend verstreut. Während ein Autogipfel den nächsten im Kanzleramt ablöste, stand die Bahn in der Warteschlange. Im Gedächtnis bleibt nicht nur der bemerkenswerte Anzug von Herrn Dobrindt, sondern auch der unselige Versuch, die Braut Bahn börsentauglich zu schminken.

Nun will es also ein FDP-Minister in einer umwelt- und nachhaltigkeitsorientierten Regierung wuppen und unter dem Motto „Deutschland braucht eine starke Schiene“ endlich den gesellschaftspolitischen Auftrag der Bahn ernst nehmen. Dazu gehören in den kommenden Jahren u. a.

Viel Erfolg wünsche ich, ganz ohne Häme.

Die Vorstände sollen durch eine veränderte Gehaltsstruktur zu mehr Anstrengung angeregt werden berichtet die Presse zum Monatsende September. Die sollen ihre Boni nicht mehr so leicht kassieren und auch nur noch in geringerer Höhe erhalten können. Sogar ein weiterer Baustein zur Bonuserreichung wird eingefügt – Nachhaltigkeit. Die kurzfristigen Boni können sogar gekürzt werden, wenn drei der sechs Kategorien, u. a. Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit, nicht erreicht werden. Da müssen die Damen und Herren dann schon ganz schön ranklotzen. Allerdings wird dem abgespeckten Bonus eine Erhöhung des Fixums von 396.000 EUR auf 700.000 EUR gegenübergestellt. Und der maximal zu erreichende Betrag in den ersten drei Vorstandsjahren von 1,1 Mio. EUR auf 1,4 Mio. EUR angehoben. Der ewig grantelnde GDL-Chef Weselsky spricht von „Augenwischerei“.

Über jeden einzelnen Punkt wird zornesrot disputiert, lamentiert, geschimpft und gestritten. Vielleicht bin ich inzwischen abgestumpft. Vielleicht auch zu alt. Vielleicht aber auch neugierig darauf, was in den kommenden Jahren mit neu gemischten Karten Gutes gelingen wird.

Ich sitze – wie gerade jetzt – entspannt im Zug und lasse mich nicht verrückt machen. Oder manchmal doch? Und von wem, oder durch was? Hier einige Impressionen:

Der Regionalzug nach Osnabrück wird auf Gleis 12 angezeigt. Durchsage etwa zwei Minuten vor erwarteter Ankunft des Zuges: 
„Heute nicht von Gleis 12, sondern von Gleis 9.“
Die Menschen flitzen los. Treppen runter. Flur entlang. Treppen rauf.
Währenddessen fährt der Zug, wie angezeigt, auf Gleis 12 ein.
Viele Passagiere steigen aus. Kein Reisender steigt ein. Der Zug entschwebt. Ziemlich blöd.

Frühmorgentliches Warten auf den ICE nach Berlin. Nach und nach werden Verzögerungen durchgegeben. Nach ca. 30 Min. wird auf dem Nachbargleis der ICE nach Leipzig angezeigt. Tatsächlich fährt dort aber der ICE nach Berlin ein.
Pech für denjenigen, der vielleicht noch halbwegs entspannt auf Gleis 12 steht und vergeblich auf die nächste Ansage wartet.
Auch Pech für diejenige, die zwar die Anzeige auf Gleis 13 sieht, sich aber wieder der auf Gleis 12 zuwendet; denn sie will ja nicht nach Leipzig. Den Schwenk von Anzeige Leipzig nach Anzeige Berlin sieht sie nicht mehr.
Eine Stunde warten. Blöde Bahn.

Hauptbahnhof Frankfurt. „Bitte beachten Sie die geänderte Wagenreihung“. Zum Glück bin ich früh am Bahnsteig und kann ganz in Ruhe die mehr als 300 Meter von Abschnitt A bis zum Abschnitt F laufen. Langsam füllt sich der Bahnsteig. Immer mehr Menschen, die ihrem neuen Abschnitt entgegenstreben.

Leider hat der Zug doch die ursprüngliche Wagenreihung. Jetzt heißt es aber im olympischen Schweinsgalopp zum richtigen Wagen flitzen. Mit Kind und Kegel, mit Hund, Kofferbergen, Gehstützen und Rollator. Die einen nach vorne, die anderen nach hinten. Gottseidank ist es kein ICE, bei dem zwei Züge mit voller Länge aneinandergekoppelt sind wie z. B. auf der Strecke Berlin – Köln. Dann heißt es in solchen Fällen zumeist „Gute Nacht Marie“.
Ich steige einfach ein, warte, bis sich der Trubel gelegt hat und gehe dann zu meinem Platz. Wozu haben wir denn (fast) alle eine Platzreservierung?

Abendfahrt von München nach Berlin. Im Ruhebereich sitzt außer mir noch ein Paar. Bei der Kartenkontrolle zücken sie ihre BC 100 bzw. 50. Alles o. K. Kurz darauf kommt ein Kollege vom Bistro.

„Wir hätten gerne 2 Currywürste, einmal mit…“

„Tut mir leid, die sind aus.“

„Aber der Zug wird doch hier eingesetzt. Wie können die schon ‚aus‘ sein?“

„Wir haben keine Currywurst.“

„Dann hätten wir gerne zwei Weizenbier und zwei Tüten Chips.“

Der Servicemitarbeiter geht. Wenige Minuten später:

„Es tut mir leid, aber es gibt nur noch ein Weizenbier. Aber es gibt auch Pils.“

„Dann nehmen wir ein Weizen und ein Pils. Und die Chips.“

Der Kollege geht. Gefühlte 20 Minuten später erscheint er wieder.

„Entschuldigung, aber es gibt nur noch Pils. Und außerdem ist das nicht kalt, da unsere Kühlung ausgefallen ist. Ich habe Ihnen mal zwei Flaschen mitgebracht. Fühlen Sie, ob Sie die trinken möchten. Und die Chips habe ich dabei.“

„Nein danke, wir verzichten.“

Ich verstehe. Wer will schon warmes Bier?

Bilderbuchchaos in Hamm. Auf der gewohnten Fahrt nach Berlin steigt bei den Vielfahrern die Spannung im Zug, sobald wir uns Hamm nähern. Dort werden häufig zwei Züge gekoppelt: der aus Düsseldorf nach Berlin und der aus Köln nach Berlin. Warum das so sein muss, handelt es sich doch um zwei eigenständige ICEs, weiß vermutlich nur die Bahn. Egal, in Hamm kommt es durch diesen Vorgang immer wieder zu Verspätungen; entweder wartet Düsseldorf auf Köln oder umgekehrt Köln auf Düsseldorf. Das Ergebnis ist für alle Reisenden gleich.

Nun, im Juni kommen wir Düsseldorfer pünktlich in Hamm an. Dann warten auf die Kölner Schlafmützen. Und warten. Und warten. Und warten. Rd. 40 Minuten. Nun gut. Ich sitze im Zug und arbeite. Im stehenden Zug kann ich sogar Anmerkungen und Unterstreichungen im Buch unterbringen. Versuche das mal einer während der Fahrt.

Da kommt der Kölner. Jetzt schnell noch kuppeln und dann mit voller Kraft voraus dem Ziel entgegen. Üblicherweise gibt es einen Ruck durch den Zug, und der Fall ist innerhalb einer Minute erledigt. Doch heute heißt es: „Wir haben leider Schwierigkeiten mit dem Kuppeln. Wir versuchen es gleich von vorne.“ Verstehe ich zwar nicht. Wollen die jetzt den hinteren Zug vor den vorderen setzen? Die werden schon wissen, was sie tun. Offensichtlich klappt das auch nicht. Inzwischen trifft auf dem Nebengleis ein ICE Richtung Berlin ein und fährt nach kurzem Halt ohne uns weiter. Wir haben ja noch Hoffnung.

Die nächste Durchsage: „Wir werden gleich getrennt weiterfahren. Sie können also alle auf Ihren Plätzen sitzen bleiben. Es dauert nur noch wenige Minuten.“ Doch auch dieser so vernünftig klingende Vorschlag bleibt lediglich ein Vorschlag. Wir erfahren nicht, aus welchem Grund die getrennte Weiterfahrt nicht möglich sein soll. Ich arbeite weiter.

Als sich auch die zweite Verspätungsstunde ihrem unseligen Ende nähert, werden wir gebeten, auszusteigen und auf den anrückenden ICE umzusteigen. Also, alle raus aus dem Zug und rüber zum Nachbargleis. Leider ist der einfahrende ICE sehr gut gefüllt. Kaum einer steigt aus; aber Hunderte wollen rein. Nichts geht mehr. Ich bleibe etwas abseits auf dem Bahnsteig stehen und schaue mir den Kampf um den Einstieg an. Jeder Platz ist belegt. Die Gänge und Wagenübergänge sind bis auf den letzten Zentimeter belegt. „Wir können so nicht losfahren,“ schallt es aus den Lautsprechern. „Die Durchgänge und Fluchtwege müssen offenbleiben. Ich bitte alle Reisenden, die dort stehen, den Zug zu verlassen.“ Wieder Gerangel, Geschiebe, Fluchen und Verfluchen. Es nützt nichts, viele Dutzend Menschen müssen wieder raus. Dann endlich fährt auch dieser Zug.

Ich warte auf den nächsten ICE, steige ein und finde einen freien Platz. Nein, ich bin nicht sauer, eher frustriert, weil ich nicht verstehe, warum es keine andere Lösung geben soll. Wieso durften die Züge nicht getrennt weiterfahren? Warum durfte nicht wenigstens einer der zwei Züge weiterfahren? Konnte kein Ersatzzug beschafft werden? Hätte man uns nicht frühzeitig und geordnet auf die anderen ICEs verteilen können? Unbeantwortete Fragen geistern durch meinen Kopf.

Mit 197 Minuten Verspätung komme ich in Berlin an. Ich schicke das Verspätungsformular auf die digitale Reise und bitte um einen Gutschein. Wenige Tage später flattert der Standardentschuldigungsbrief mit der Erstattung ins Haus. Ich reibe mir die Augen. Schaue auf den Text und auf den Erstattungsbetrag. Wollen die mich ver…? Mehr als drei Stunden Verspätung. Ich erhalte einen Gutschein über fünfzehn, in Worten fünfzehn, Euro. Meine Bahncard 100 kostet fast 8.000 EUR, und die erstatten mir 15 Euro?! Dazu mit folgender Erläuterung:

„Für die BahnCard 100 erhalten Sie je Verspätung ab 60 Minuten eine Entschädigung …. für die BahnCard 100 First 15.00 Euro. Maximal können 25 % des BC 100-Preises erstattet werden.“

Vermutlich muss ich während der Fahrt von einem frustrierten Mitarbeitenden erschlagen werden, um den Maximalerstattungsbetrag zu erhalten. Hoffentlich sind dann meine Ansprüche wenigstens vererblich?
Jetzt bin ich richtig sauer.
Was hätte es die Bahn gekostet, mir einen Gutschein über eine Freifahrt innerhalb Deutschlands zu schicken? Kundenservice? Im Zweifel einfach googeln.

Sonntagabend Fahrt von Berlin nach Bremerhaven. Es gibt keine durchgehende Verbindung nach Bremerhaven. Mein Plan: Berlin – Bremen; Bremen – Bremerhaven. Die Abfahrt in Berlin verzögert sich wegen einer Störung am Zug um fast eine Stunde. Eine Durchsage mit zumindest ungefährer Wartezeit erfolgt nicht. Auch die Bahn-App hilft nicht weiter. Bereits kurz nachdem wir hätten starten sollen, steht auf dem Nachbargleis ein ICE nach Hamburg. Hätte ich eine Info zur vermuteten Verzögerung gehabt, wäre ich auf den Hamburger Zug umgestiegen.

Endlich geht es los Richtung Bremen. Immerhin kommen wir mit rd. 1,5 Stunden Verspätung in Hannover an. Leider endet hier unsere Fahrt außerplanmäßig. Weiß der Kuckuck, was der Grund ist. Ich vermute, wieder eine Störung am Zug. Wieder eine Stunde Wartezeit. Der nächstmögliche Zug nach Bremen ist pünktlich.

Laut neuem Plan soll in Bremen kurz nach Ankunft der Regionalzug nach Bremerhaven starten. Der Zug kommt. Die Türen bleiben geschlossen. Zehn Minuten passiert nichts. Der Zug fährt raus aus dem Gleis. Wir sind irritiert. Dann die Durchsage: „In 5 Minuten kommt ein Ersatzzug.“ Es dauert 60 Minuten. Nun, vielleicht gibt es ja im Zeitalter der „Zeitenwende“ auch eine neue Zeitrechnung bei der Bahn. Wer weiß, was alles möglich ist, wenn der Kanzler mal auf den Tisch haut.

Ich komme um 00:30 in Bremerhaven an. Busse fahren nicht mehr. Taxi? Fehlanzeige. Auch kein Taxiruf. Keine Straßenbeleuchtung (Bremerhaven stellt aus Sparsamkeitsgründen in weiten Teilen der Stadt um Mitternacht die Lichter aus). Strömender Regen. 30 Minuten zu Fuß. Bis auf die Unterhose durchnässt. Shit happens.

Ich schreibe an den Kundenservice und schildere die Odyssee. Ich benötige keine Antwort. Nutzt lieber die Zeit, nehmt die Beschreibung, setzt Euch zusammen und prüft, wo in der Reisekette die Schwachstelle ist. Oder sind es gar mehrere? Und beseitigt bitte die Macken. Eine Antwort habe ich nicht erhalten. Ob sich war geändert hat?

Einfahrt in Hannover. Wir sind ein wenig verspätet. Der Zugchef gibt durch, dass unser Anschlusszug auf dem gegenüberliegenden Gleis abfahrbereit steht. Wir sollen bitte nur zügig aussteigen und die wenigen Schritte zum wartenden Zug nicht vertrödeln. Freude. Wir halten. Ich stehe ausstiegbereit neben dem Zugchef an der Tür. Tür öffnen und …. Gegenüber schließen sich die Türen. Der Zug fährt ohne mich. Konsterniert schaue ich den Zugchef an. Der zuckt nur die Schultern.

„Ja, so ist das bei der Deutschen Bahn. Verlassen kannst Du Dich nur darauf, dass auf Nichts Verlass ist.“ (Zugchef)

Trotz alledem, so fürchterlich finde ich es nun doch nicht.

Und was ist mit den Reisenden? Dazu demnächst in diesem Theater einige Erlebnisse.