Ach Du schöne Corona-Zeit
21. Juli 2020
Edeka, Ecke Düsseldorfer und Uhlandstraße. Ein junger Mann packt maskennackt Paprika ins Regal. Ich spreche ihn an. „Maske müssen wir nicht tragen.“ „Was ist der Grund?“ „Das weiß ich nicht. Da müssen Sie unseren Chef fragen.“ Die Auskunft des Chefs: „Es ist unseren Mitarbeitern nicht zuzumuten, dass sie acht Stunden am Tag mit Maske arbeiten. Das hat der Berliner Senat so beschlossen. Die Kunden dagegen sind ja schon nach wenigen Minuten wieder aus dem Geschäft. Die können durchaus so lange die Maske tragen.“ Ich bin konsterniert. „Die Masken sollen doch verhindern, dass unsere Tröpfchen andere treffen und infizieren. Wenn Ihre Mitarbeiter keine Maske tragen, dann gefährden sie doch Ihre Kunden.“ „Wir sind ganz vorsichtig und sprechen unsere Kunden nicht direkt an.“ „Ach ja“ sage ich, „das sehe ich gerade in unserem Gespräch. Ich hatte mich schon gewundert, warum Sie mich die ganze Zeit über nicht ansehen und ich Ihren Kopf nur im Profil vor mir habe.“ Der Kerl kriegt nicht mal einen roten Kopf. Er entschuldigt sich nur kurz. „Ich hoffe, jetzt ist alles klar. Ich muss jetzt aber auch weiter.“ Klar, alles klar.
22. Juli 2020
Auf dem Weg zum Berliner Hauptbahnhof. In der Bahn die Ansage. „Maskenmuffel riskieren mindestens 50 Euro Strafe.“ Ich höre diese Ansage seit Tagen in Bus und Bahn. Kontrolliert hat das noch niemand. Ganz im Gegenteil. Kürzlich standen zwei Polizisten in unserem Abteil und unterhielten sich ohne Maske und ohne Abstand. Aber was den Edeka-Mitarbeitern lieb ist, ist der Polizei vermutlich nur recht. Selbstverständlich wurde keiner der etwa fünf bis sieben Mitreisenden ohne Maske angesprochen oder gar mit einem Bußgeld belegt.
Heute steigen zwei Kontrolleure in Zoo ein. Sie kontrollieren die Fahrscheine bei zwei Reisenden und verschwinden bereits an der nächsten Haltestelle aus dem Zug. Für Reisende ohne Maske hatten sie offensichtlich keinen Blick oder auch keinen Auftrag. Nach welchen Kriterien sie kontrolliert haben, ist mir nicht ersichtlich. Es waren nicht einmal die sonst üblichen „Verdächtigen“, die immer kontrolliert werden. Kurz drauf halten wir in Bellevue, der letzten Station vor dem Hauptbahnhof. Auf dem Bahnsteig 5 Polizisten, schwarze Kluft, Polizeiaufdruck. Einer mit Maske. Sie bedeckt nur den Mund. Der Rest unmaskiert. Abstand fehlt. Vielleicht können die aber auch nicht rechnen und wissen nicht, was ein Mindestabstand von 1,5 Metern bedeutet.
Für meinen ICE 940 nach Düsseldorf habe ich eine Reservierung in Wagen 27. Der ist leider gesperrt, weil die Klimaanlage im Wagen ausgefallen ist, die Klos überlaufen, eine Fensterscheibe gesprungen ist. Was weiß ich. Der möglichen Gründe sind viele. Leider gibt es dann nur noch Wagen 26 für die erste Klasse. Auch wenn sonst während der Woche um kurz vor zwölf mittags eher weniger Menschen erste Klasse Richtung Düsseldorf unterwegs sind, füllen sich die Züge nach Ende des ersten Lockdowns doch langsam wieder. Wir sitzen zwar mit Maske, aber ohne den propagierten Mindestabstand fast vier Stunden im Zug.
In Duisburg schlendere ich am späteren Nachmittag an der König-City vorbei. Wer hier kein Köpi trinkt ist krank oder allenfalls Frau, auch wenn das kaum als Ausrede gilt, trinken doch die meisten Frauen hier auch ihr Pils. Vier Stehtische draußen. Auf jedem ein Schild „maximal 5 Personen“. Nach zwei Tischen ein Plexischild als Abtrennung. Dann wieder zwei Tische. Sämtliche Tische voll belegt, oft mehr als 5 Personen. Aber beim Pilsbestellen muss ja auch keiner rechnen. Da reicht es, das leere Glas zu heben oder einmal den Finger kreisen zu lassen, und schon kommt die nächste Runde. Beste Stimmung. Niemand mit Maske. Abstand minimal. „Wenn Alkohol Bazillen tötet, dann doch auch wohl so scheiß Viren“, erklärt mir ein noch nüchtern wirkender Mann, hebt sein Glas, lacht und prostet mir und seinen Freunden zu.
Kurzer Abstecher ins Café Heinemann, das Café mit den angeblich besten Champagnertrüffeln der Welt. Na ja, vielleicht nicht die besten der Welt; aber auf jeden Fall exquisite Trüffel. Die Sommertrüffel mit Zitrone, Himbeere etc., können mir dagegen gestohlen bleiben. Hier hält sich jeder an die Bestimmungen. Selbst die Zuckertütchen, die der Gast unversehrt auf dem Tisch liegen lässt, wandern in den Abfall. Ob das gegen die Verbreitung der Infektion hilft?
Im Rosso Picante auf dem Sonnenwall erwische ich draußen gerade noch einen freien Tisch. Hier tummeln sich fast nur Stammgäste. Man kennt sich seit Jahren. Viele haben ein Geschäft in der Stadt und lassen den Tag hier ausklingen. Man begrüßt sich untereinander mit Umarmung und Küsschen links und rechts. Auch der Kellner kennt weder Gesichtsschutz noch Abstand. Jeder wird geduzt, auch ich als Neuling. Seiner Umarmung entgehe ich aber Gott sei Dank.
Dann zum Duisburger Hauptbahnhof, wohl einem der schlimmsten in Deutschland. Dreckig, undichtes Dach, wenig Schutz vor den Taubenangriffen auf den Bahnsteigen. Auffällig: Reisende, die ankommen, tragen überwiegend auch im Bahnhof noch die Maske. Reisende, die abfahren, legen ihre Maske oft erst im Zug an. Ich steige in den RE11 nach Dortmund. Wie fast immer, pünktlich. In unserem Wagen tragen alle Maske. Der Mindestabstand lässt sich gerade noch einhalten. Aber es ist ja auch Ferienzeit. Im Berufsverkehr außerhalb der Ferien ist das schier unmöglich. In Dortmund das gleiche Spiel. Wer ankommt, trägt auch im Bahnhof Maske, wer abreist, legt sie erst im Zug an.
Ich treffe mich mit meinem Kunden. Wir fahren hoch in die siebte Etage. Niemand, der dort Maske trägt. Auch hier sind Umarmungen an der Tagesordnung. Mein Kunde hält sich vornehm zurück und winkt seinen Kolleginnen und Kollegen nur mit einem freundlichen „Hallo“ zu. Vielleicht liegt seine Zurückhaltung nur an mir. Vielleicht aber auch daran, dass seine Wirkungsstätte einige Straßen weiter ist, und er hier nur selten aufschlägt.
Ich frage in diesen Tagen immer wieder Menschen nach den Gründen, warum sie keine Maske tragen und / oder keinen Abstand einhalten. Typische Antworten:
„Die Politiker gehen nicht mit gutem Beispiel voran. Die siehst Du doch ständig ohne Maske und ohne Abstand.“
„Jugendliche kriegen kein Corona. Und wenn doch, dann ist das nur ein kleiner Infekt. Den merkst Du doch gar nicht.“
„Ich kenne keinen mit Corona. Das Risiko ist doch genau so gering, wie die Chance auf einen 6er im Lotto.“
„Das sind die dämlichen Touristen vom Ballermann, aus Bulgarien und der Türkei. Wenn sie die alle in Quarantäne stecken, dann steigen die Zahlen auch nicht weiter.“
Einer singt nach der Schlagermelodie Marina, (ein Hit aus den späten 50ern von Willy Alberti, bei uns vor allem durch Chris Wolff bekannt geworden):
Corona, Corona, Corona
Du bist ja so schlimm und gemein
Verpiss Dich blödes Virus
Niste Dich ein beim Klerus
Der betet Dich schnell weg
Dann erstickst Du bald im Dreck
Und ich hoffe, eines Tages sagen zu können: „Und so gingen sie dahin, ein fröhliches Lied auf den Lippen. Ihr Glaube hatte ihnen geholfen.“
Januar 2021
Verwaiste Innenstädte; kaum ein Geschäft hat seine Abholstation geöffnet. Lebensmittelläden schließen schon um 17.00. Nur eine Handvoll Menschen auf der Zeil. Alle mit Maske. Abstand ergibt sich von selbst. Den Gesundheitsminister wird’s freuen.
Zurück in Berlin blicke ich von meinem Büro in Niederschönhausen auf die gegenüberliegende Grundschule. Der Schulbetrieb hat wieder begonnen. Unverändert, wenn auch in dezimierter Zahl gegenüber letztem Herbst, rennen die Kinder auf dem Pausenhof durcheinander, umarmen Aufsichtspersonen oder reden aufgeregt auf sie ein. Masken scheinen für die Erwachsenen ein Fremdwort zu sein. Nicht nur der Gesundheitsminister „is not amused“.
Dann die Bilder von den Ski- und Rodelgebieten. Ich bin fassungslos über diese wildgewordenen Horden. Wie blöd kann man nur sein? Von den Idioten, die „Deutschland – Wir machen auf“ predigen und den verantwortungslosen Ärzten, die in Menge Scheinatteste gegen die Maskenpflicht ausstellen, gar nicht erst zu sprechen.
Kein Wunder, dass die Infektions- und Todeszahlen trotz zehn Wochen Lockdown nicht in den Keller rutschen. Das tägliche Mantra „Unser Ziel ist eine Inzidenz unter 50“ klingt inzwischen wie ein Treppenwitz. Bleibt vermutlich nur ein Gottesgericht gegen die Verweigerer oder die Zwangsimpfung aller.